Nenn mich einfach Superheld

  • Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2013, Seiten: 240, Originalsprache
Nenn mich einfach Superheld
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Sebastian Riemann
601001

Belletristik-Couch Rezension vonDez 2013

Nur mittelmäßig super

Entstellt, geschunden, unsagbar hässlich – das Gesicht von Marek ist eine Katastrophe, sowohl für die Menschen, die ihn unvorbereitet anschauen, als auch für ihn selbst, denn mit dem Gesicht verlor er einen Großteil seines Lebens. Früher war er ein normaler Jugendlicher, sah ganz gut aus, war beliebt, hatte noch viel vor sich. Dann brach seine Welt zusammen, ein Rottweiler zerfetzte sie, biss sich im Gesicht fest und gab dem Jungen sein neues, erschreckendes Antlitz. Marek kann nicht mehr in den Spiegel sehen, zu sehr erschüttert ihn der Anblick. Er empfindet sich als Monster, erwartet gleichsam, dass ihn der Rest der Menschheit so sieht, deshalb will er niemandem zur Last fallen, will niemanden durch sein Äußeres erschrecken. Er hasst sein Leben, würde sich am liebsten in ein dunkles Zimmer einschließen, nicht mehr unter Menschen gehen, mit niemanden reden, auch nicht mit den Personen, die versuchen ihm zu helfen. Dabei kann er ziemlich unfreundlich werden und auf die Nerven gehen, auch dem Leser.

Beim Treffen für "Behinderte und Verrückte" wird Marek mit anderen Jugendlichen in Kontakt gebracht, die ein ähnliches Schicksal teilen, auch sie sind körperlich beeinträchtigt: ein Blinder, ein Fettleibiger, ein Junge mit Beinprothesen und ein Mädchen im Rollstuhl. Und eine "Tunte" ist auch dabei. Geleitet wird die Gruppe von einem Guru, den niemand so richtig leiden kann. Marek wurde von seiner Mutter zu diesem Treffen geschickt, die nicht mehr ertragen konnte, wie der Sohn in Selbstmitleid vergeht. Natürlich wollte er nicht zu einem derartigen Treffen und deshalb kann niemand auf positive Signale von ihm hoffen. Wenn er über die Anderen spricht, ist da nur Abneigung zu spüren, er betrachtet sie als Monster, so wie sich selbst. Politically correct ist das nicht, kein bisschen, aber darum ging es der Autorin auch nicht, sie liebt es ohnehin sich an der Alltagssprache mit all ihren Derbheiten und Witzen zu orientieren. Der Umgangston wird teilweise sehr ruppig, von Rücksicht oder Sensibilität keine Spur. Doch das scheint für Bronskys Charaktere kein Problem zu sein, sie sind allesamt verbittert und an Beleidigungen gewöhnt oder so spöttisch, dass niemand an sie herankommt. Wer ihnen blöd kommt bekommt einen Spruch gedrückt, so einfach ist das für sie, die sie nicht auf den Mund gefallen und ohnehin der Meinung sind, dass sie nichts mehr zu verlieren haben.

Sie wollen kein Mitleid, das ist verständlich. Aber was wollen sie? Hier bleibt die Autorin viel schuldig, denn die Jugendlichen bleiben flach, können den Leser nicht überzeugen, können nicht mit ihrer Situation umgehen, immerzu retten sie sich in einen rauen Umgangston, bestenfalls wirken sie verwirrt und hilflos. Die einzige Figur die neben dem Protagonisten ein wenig Farbe erhält ist Janne, das Mädchen im Rollstuhl; sie ist hübsch, arrogant und versteht es  ihre Bewunderern um den kleinen Finger zu wickeln. Marek verliebt sich in sie, ist bemüht um sie und muss dafür viel einstecken. Doch selbst diese kleine Romanze bringt keine nennenswerte Klasse in den Reigen der Personen im ersten Teil des Buches, denn sie alle werden erdrückt von der mächtigen Verbitterung und Lustlosigkeit, die sich gleich einem dichten Nebel über die Seiten legen und zumeist in Form von Mareks Worten oder Gedanken in Erscheinung treten.

Die Gruppe der Ausgegrenzten wird geeint durch die Abneigung zwischen den einzelnen Teilnehmern und ihrem gemeinsamen Schicksal, so sehen es zumindest der Guru und auch die Autorin des Buches. Folglich wird es ihnen gut tun, wenn sie Zeit zusammen verbringen, sich gegenseitig unterstützen. Also schnell ein Haus im Wald gemietet, die Jugendlichen hineingestopft und alles wird besser. Großartige Idee, aber es kommt anders als erwartet. Natürlich läuft alles schief, es gibt keine Harmonie in der Gruppe, stattdessen einen unangenehmen Zwischenfall im Nachbardorf, Marek wird an einem Tag zweimal ins Gesicht geschlagen, beleidigt wird er auch. Aber irgendwie ist dann alles doch wie erwartet, auf wundersame Weise hat die Kur funktioniert, ohne dass jemand zu sagen weiß, wie es geschah. Weil die Autorin bei der mysteriösen Wandlung jedoch nicht ins Detail gehen wollte, hat sie der freundschaftlichen Entwicklung einen großen Riegel vorgeschoben: Mareks Vater ist tot.

Teil zwei des Buches hat mit Teil eins wenig zu tun, aber das gereicht ihm nicht zum Schaden. Marek reist mit seiner Mutter zum Heimatort des Vaters, um dort dessen zweite Frau und Mareks Halbbruder zu treffen, gemeinsam organisieren sie das Begräbnis und die Totenfeier. Die Darstellung der Charaktere des zweiten Teils ist besser gelungen, ihre Persönlichkeiten sind einprägsamer, nicht so eintönig wie die Jugendlichen. Dies wird auch dadurch erreicht, dass kulturelle Unterschiede in die Handlung eingeflochten werden: Die zweite Frau des Vaters stammt aus der Ukraine, sie hat andere Vorstellungen über den Umgang mit einem Toten als Marek und seine deutsche Mutter. Es kommt zu Spannungen und Überraschungen, der Unterhaltungswert steigt in rasantem Tempo. Die Handlungskurve schießt teilweise durchs Dach, verdutzt liest man wie Marek Sex mit der frischen Witwe, seiner Stiefmutter, hat, und fragt sich nach dem Grund für dergleichen. Ein großer Tabubruch, der lediglich mit wenigen Andeutungen kontextualisiert wird: ein wenig Kindheitserinnerungen, ein wenig Leichtlebigkeit, vermischt mit blindem Schmerz, fertig.

Leider wiederholt sich dieses Gefühl während der Lektüre, des Öfteren erscheint das neueste Projekt von Bronsky unzureichend durchdacht. Die Attacke des Rottweilers – der Ausgangspunkt für die Situation des Protagonisten – wird immer wieder kurz erwähnt, als surreales Gewaltspektakel mit teuflisch lachenden Zuschauern oder als Heldentat Mareks, der eine Freundin vor dem Tier rettet, wirklich rekonstruiert wird das Ereignis jedoch nicht. Das ist nicht das Anliegen des Buches, es will nicht erklären, wie Unglück entsteht, wie ein Leben zerschlagen wird, vielmehr scheint es sich der Aufgabe gewidmet zu haben ein negatives Lebensgefühl – nicht dazugehören, anders zu sein – zu bekämpfen. Am Ende des Buches hat Marek viel Lebensmut wiedergewonnen, auch wenn der Weg dorthin nebulös ist und die positive Wendung nicht recht nachvollziehbar. Der guten Intention werden aber doch zu viele Pfeiler des Romankosmos geopfert, das Konstrukt fällt aus der Luft und vermag nicht auf den Füßen zu landen.

Der "Superheld" wird wohl nicht an die früheren Erfolge von Scherbenpark und Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche anknüpfen können, trotzdem ist es ein Buch mit unterhaltsamen und einprägsamen Szenen. Wie zu erwarten schreibt Bronsky schwungvoll und unverkrampft, das Geschilderte wirkt authentisch und lebendig, dies ist eine ihrer großen Stärken. Es ist schade, dass der Umgang mit einigen Charakteren und dem roten Faden der Handlung nicht wirklich geglückt ist.

Nenn mich einfach Superheld

Alina Bronsky, Kiepenheuer & Witsch

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