Ohne Waffen dem Untergang entgegen
Ein Tag im Jahr 1859: Ein Zufall veranlasst Henry Dunant am Morgen - nach dem Gemetzel von Solferino - das Schlachtfeld zu betreten. Eigentlich war der Schweizer mit einem Brief auf dem Weg zu Napoleon III., doch die 38 000 Tote und Verwundeten haben ihn seinen Auftrag vergessen lassen. Henry Dunant war es, der vor 150 Jahren das Rote Kreuz ins Leben rief. Eveline Hasler hat einen kleinen und sehr gut recherchierten Roman über das Leben des Mannes geschrieben, der eine große Leistung vollbracht hat und letztendlich in völliger Armut gestorben ist.
Der Zeitreisende. Die Visionen des Henry Dunant heißt der Roman, der bereits 1994 erschienen ist. Mit dem 150-jährigen-Bestehen und der Neueröffnung des Museums des Internationalen Roten Kreuzes in Genf, findet der Roman der Schweizer Autorin wieder Beachtung. Das sollte er auch, schreibt die Autorin doch aus Sicht Dunants selbst. Schnörkelos erzählt sie, wie sich der junge Dunant auf die Reise begibt. Auf eine Zeitreise, die ihm im Jahre 1901 den ersten Friedensnobelpreis einbringen sollte.
Henry Dunant, 1828 in Genf geboren, ist ein eher schüchterner, leiser Mann. Er tritt nicht laut auf, auch dann nicht, als viele Menschen längst zu ihm aufschauten. Was er gesehen, erlebt hat in der italienischen Stadt Solferino, als er Zeuge der Hinterlassenschaft einer Schlacht zwischen den Armeen Österreichs und Frankreichs und den Truppen Sardinien-Piemonts wurde, soll ihn bis an sein Lebensende nachdenklich stimmen, vorausschauend und immer wieder zweifelnd. Dennoch hat der Geschäftsmann und Humanist nicht die Hände in den Schoß gelegt, sondern gehandelt.
Seine Erlebnisse veröffentlichte er unter der Überschrift Eine Erinnerung an Solferino auf eigene Kosten im Jahr 1862 und begann, das dünne Büchlein zu verteilen. Er predigte die Grundsätze seiner späteren Institution des Roten Kreuzes: "Verwundete hören auf, Feinde zu sein, sind einfach wieder Menschen, haben Recht auf Hilfe, ihre Nachrichten sollen den Angehörigen übermittelt werden." Ein Jahr nach Erscheinen der Erinnerungen kam es zur Gründung des Internationalen Komitees der Hilfsgesellschaften für die Verwundetenpflege, die 1876 in Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) umbenannt wurde. Die Genfer Konvention, die 1864 beschlossen wurde, basiert im Wesentlichen auf den Vorschlägen, die Dunant seinem Buch zu Grunde legt.
Der Geschäftsmann Dunant, der er neben seiner humanitären Tätigkeit auch war, wird indes wegen "betrügerischen Bankrotts", eine weitere Mitarbeit bei der Genfer Konvention verweigert. Er wird ausgeschlossen und sein Widersacher der Jurist Gustave Moynier setzt alles daran, dass es auch so bleibt.
"Auch auf dem Gemälde von Armand-Dumaresq, die Unterzeichner der Genfer Konvention, dessen Kopien in aller Welt zirkulierten, suchte man Dunant vergebens",
schreibt die Autorin Hasler und fügt sowohl in Deutsch als auch in Französisch die Hasstiraden an, die Moynier in die Welt setzt, um sich als den eigentlichen Gründer des Roten Kreuzes feiern zu lassen.
Die folgenden drei Jahrzehnte verbringt Dunant in Armut, flüchtet aus der Schweiz, Intrigen werden gegen ihn geplant, er verliert den Status, den er einst hatte. Er reist viel herum und gerät zunehmend in Vergessenheit. Erst zum Ende seines Lebens rückt er wieder in den Mittelpunkt, dann, als ihm 1901 der erste Friedensnobelpreis überreicht wird. Seine Idee eines "Grünen Kreuzes" zur Förderung der Gleichberechtigung der Frauen, konnte er nicht mehr in die Realität umsetzten.
Henry Dunant stirbt am 30. Oktober 1910.
Eveline Hasler zeichnet nicht das Bild eines Idols, eines Visionärs mit klaren Vorstellungen und Zielen. Sie zeigt einen zutiefst verletzten Mann, einen Mann, der an sich selber zweifelt, eitel ist zuweilen und in Verbitterung und Selbstmitleid versinkt. Ihre Art zu schreiben bewegt und lässt bewegungslos zurück. Eine großartige Biographie, gespickt mit vielen theoretischen Daten und Ansätzen.
Zum weiterlesen empfiehlt sich Henry Dunants Eine Erinnerung an Solferino sowie das überaus umfassende Werk von Gerhard Piper Solferino und die humanitären Folgen. Wer sich von zahlreichen Fußnoten und Zitaten nicht abschrecken lässt, sollte sich das Buch vornehmen, um die Entstehungsgeschichte des Internationalen Roten Kreuzes noch einmal en détail zu erfassen. Es lohnt sich.
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