Frühling der Barbaren

  • C.H. Beck
  • Erschienen: Januar 2013
  • 2
  • München: C.H. Beck, 2013, Seiten: 125, Originalsprache
Frühling der Barbaren
Frühling der Barbaren
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Katharina Affholderbach
681001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2014

Schlachthof-Gebaren nach einer Hochzeitsfeier

Einem Kamel wird am Beckenrand des Hotelpools eine lange Klinge ins Herz gestoßen, ausgenommen wird es, wie eine Weihnachtsgans. Anschließend wird eine Hündin von der betrunkenen Meute erschlagen und ihren vier jungen Welpen die Kehle durchgeschnitten. Letztendlich werden die Hundebabys in den Leib der Mutter zurück gesteckt, welcher wiederum in das soeben getötete Kamel gestopft wird. Abschließend bereitet die wilde Menschenmeute noch das Feuer zum Braten des Kamels vor. Denn: Rohes Fleisch schmeckt nur halb so gut wie gebratenes. Die Zuschauer dieses barbarischen Hergangs sind unfähig sich zu bewegen – und dem Leser der Lüscher-Novelle Frühling der Barbaren ist speiübel zumute! Ziel erreicht?

Was treibt bloß die Meute in Jonas Lüschers Novelle Frühling der Barbaren zu einer solchen unmenschlichen Grausamkeit an? Ist es Tradition, die trotz Tierschutzprotesten weitergeführt wird? Die von Lüscher in seiner Novelle gelieferte Antwort ist viel einfacher: Es geht ums Geld, um den sprichwörtlichen schnöden Mammon!

Geld bedeutet Macht, Ansehen und ein entspannteres Leben. Doch was passiert, wenn das Finanzsystem eines Landes zusammenbricht und die eigene Währung von heute auf morgen nichts mehr wert ist? Diese Antwort liefert Lüscher, aber er sucht nicht nach einer Erklärung - wie genau es zu der Finanzkrise gekommen ist. Er beschreibt lediglich das Verhalten der Menschen vor und nach dem Untergang des Finanzsystems im England der Jetztzeit - und das aus Sicht eines angeblich neutralen Schweizers.

Zurück zum Plot: Der Schweizer Preising reist nach Tunesien, um den Kontakt zu seinem Geschäftspartner zu pflegen. Er verbringt seine Tage in einer Hotelanlage mitten in der Wüste, als Gast des Hoteleigentümers. Die übrigen Gäste des Hotels gehören alle einer englischen Hochzeitsgesellschaft an. Diese Gesellschaft wiederum besteht neben dem Brautpaar, zwei jungen Finanzexperten nebst deren Familien, vor allem aus Mitgliedern des Finanzwesens.

 

"Preising [ist] erstaunt, dass in diesen Tagen der Londoner Finanzplatz fünfzig junge Talente entbehren [kann]."

 

Der Protagonist freundet sich mit der Mutter des Bräutigams an und bekommt somit einen noch größeren Einblick in die Hochzeitsgesellschaft und das Verhalten der einzelnen Personen. Der Altersunterschied innerhalb der Gruppe macht sich dadurch bemerkbar, dass es den jungen Leuten "gelang, dieses Spiel, das sie da spielten, als Ernst zu verkaufen", während die älteren Gäste sich ihren eigenen Aktivitäten zuwendeten. Dass das Spiel des Lebens nur eingeübt war, stellte Preising bei der Hochzeitsrezeption fest:

 

"Diese jungen Leute [waren] genau darauf konditioniert, selbstsicheren Leuten zu lauschen, die etwas zu verkündigen hatten... Es kümmerte sie nicht, wer, es kümmert sich nicht, was, es ging um eine bestimmte Haltung dessen, der da sprach."

 

Am Abend hatte die Hochzeitsgesellschaft noch ausgiebig gefeiert und schlief noch, als in Großbritannien die Finanzmärkte zusammenbrachen. Der Wert des britischen Pfundes sank ins Bodenlose. Hatten sich am Vortag die Kosten der Feier umgerechnet noch im fünfstelligen Pfundbetrag bewegt, waren es am Morgen schon mehrere Millionen. Die Hotelchefin, die für ihr eigenes Hotel um Schadensbegrenzung bemüht ist, belastet die Kreditkarten ihrer Gäste bis zum Limit, bemerkt aber rasch, dass sämtliche Karten gesperrt - da nicht mehr gedeckt - sind. Noch während die Gäste sich über den Zustand ihres Heimatlandes informieren, wird ihnen auch schon mitgeteilt, dass sie keine Dienstleistungen von Seiten des Hotels mehr erhalten werden. Die Reaktionen darauf fallen sehr unterschiedlich aus. Die einen verhalten sich besonnen, folgen der Aufforderung der Hotelleitung, das Haus zu verlassen und sehen in diesem Untergang auch die Chance eines Neuanfangs. Die anderen regen sich auf und ignorieren Benutzungsverbote: Sie verdrängen die Ausmaße des Finanzcrashs und halten sich immer noch für unantastbar - bis die ersten Handys klingeln: Kündigung per Kurzmitteilung. Die Erkenntnis, dass ihr Luxus-Leben ein Ende hat, lässt sie zu Barbaren werden: Sie töten die Tiere und zerstören das Hotel.

Jonas Lüscher stellt mit seiner Novelle unter Beweis, wie sehr er die heutige Gesellschaft im Blick hat. Detailliert beschreibt er Charaktere, Eigenschaften, Freundschaften, Beziehungen - was den Beginn des Buches etwas langatmig, tempolos wirken lässt. Er vermittelt damit, dass in der heutigen Zeit eben keine Zeit für Umwege ist, für Außergewöhnliches, für etwas, das nichts mit Geld zu tun hat, aus freien Stücken geschieht, freiwillig. Alles hat geradlinig zu verlaufen, hat zu funktionieren, Komplikationen sind unerwünscht und sollte es einmal Unannehmlichkeiten geben, werden sie verschwiegen. Es dauert lange, bis Tempo in die Geschichte kommt, doch danach dauert es nicht lange, bis das Chaos ausbricht. Der Übergang vom Urlaubsfeeling zum Schlachthof-Massaker geschieht mit einer erschreckenden Leichtigkeit: Der Autor zeigt auf, wie schnell wohlerzogene Menschen zu Barbaren werden können - wenn ihnen ihre Existenzgrundlage entrissen wird.

Nicht ohne Grund hat es Jonas Lüscher mit seiner Novelle auf die Shortliste des Schweizer Buchpreises 2013 geschafft. Für alle zu empfehlen, die sich von schaurigen Beschreibungen nicht abschrecken lassen.

Frühling der Barbaren

Jonas Lüscher, C.H. Beck

Frühling der Barbaren

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