Meine Seele weiß von Dir

Sina kann sich nicht erinnern. Als sie im Krankenhaus erwacht, weiß sie weder, wer sie selber ist, noch was mit ihr passiert ist. Im Schutz des dunklen Kleiderschranks versucht sich die junge Frau ein Bild von ihrem bisherigen Leben zu machen. Sie schottet sich gegen alles ab, was von außen auf sie zukommt. Bis sie die Stimme von Leander Hohwacht hört. Diese löst in ihr intensive Gefühle aus. Dennoch ist Sina erstaunt, als sich ausgerechnet dieser Mann als ihr Ehemann entpuppt, der sie aus dem Krankenhaus nach Hause holen möchte. Obwohl sich Sina vor dem Moment fürchtet, in dem sie in ihr Leben zurückkehren muss, lässt sie sich von ihrem Ehemann schließlich ins gemeinsame Haus bringen. Sie will sich ihm gerne öffnen, spürt bei ihm aber eine unerwartete Distanz. Nur langsam begreift Sina, dass sie in ihrer Vergangenheit als Sina-Mareen ein anderer Mensch gewesen sein muss, als den, den sie jetzt in sich erkennt. Schritt für Schritt nähert sich die Goldschmiedin ihrem einstigen Selbst an – und versteht plötzlich, dass sie sich nach ihrem Unfall neu definieren kann, wenn sie sich auch ihrer Vergangenheit stellen muss.

Sabine Ludwigs versucht mit ihrem Roman einen Spagat, der ihr teilweise auch gut gelingt. Sie stellt eine Protagonistin ins Zentrum ihrer Geschichte, die die Chance erhält, sich neu zu definieren. Denn unbelastet von vergangenen Gefühlen muss sich Sina (bis zu ihrem mysteriösen Unfall Sina-Mareen) eine neue Welt aufbauen. Die Zerrissenheit, die damit zwangsläufig einher gehen muss, räumt die Autorin genügend Raum ein, damit sie sich entfalten kann. Sina ist keine Heldin. Sie ist eine Frau, die Schritt für Schritt ins Leben zurück kehrt, die Ängste erlebt und sie auch lebt, die sich aber dennoch einer unbekannten Wahrheit stellt. Geglückt ist Sabine Ludwigs auch der Einbezug der anderen Protagonisten in diesen Prozess. Sie, die von der Vergangenheit wissen, müssen ihrerseits damit klar kommen, dass sich die überhebliche und selbstüberzeugte Sina-Mareen in eine empathische und leicht verunsicherte Sina verwandelt. Von den Ärzten gewarnt, dürfen sie ihr dabei nicht helfen, sondern müssen es Sina selber überlassen, sich ihre Erinnerungen zurück zu erkämpfen. Geschickt stellt Sabine Ludwigs dar, wie schwer es für Sinas Umwelt ist, sich mit der Amnesie abzufinden und es ihr zu überlassen, alte Wunden aufzureißen – oder sie heilen zu lassen. Besonders für Leander – der leider über die ganze Zeit hinweg eher oberflächlich bleibt und einen etwas zu süßen Beigeschmack bekommt.

Es ist denn auch diese süßliche Liebesgeschichte, die für den eher mäßigen Touch des Romans verantwortlich ist. Leander Hohwacht, der umschwärmte Moderator ohne Fehl und Tadel, wirkt zu klischeehaft, um sich in den guten Ansatz einfügen zu können. Es scheint, als habe die Autorin hier ein Zugeständnis an die Leserinnen gemacht, die einen leicht lesbaren Stoff ohne zu tiefschürfenden Hintergrund suchen. Dass Leander auch aus einem ganz anderen Holz geschnitzt sein könnte, als zunächst vermutet, wird erst mit fortschreitender Geschichte deutlich, kann sich aber zu wenig durchsetzen, um den Helden in einem anderen Licht erstrahlen zu lassen.

Gelungen ist Sabine Ludwigs die Mischung aus Spannung und Unterhaltung. Denn mehr und mehr wird deutlich, dass es mit dem Unfall, der Sinas Gedächtnis gekostet hat, etwas auf sich haben muss. Mehr und mehr verdichtet sich der Verdacht, dass Sina im Pool hätte sterben sollen. Die Leser begleiten die junge Frau auf ihrer Suche nach dem Grund für ihren Unfall – und nach einem Stalker, der ihr nach dem Leben hätte trachten können. So bekommt der Roman einige Krimi-Elemente, ohne jedoch tatsächlich diesem Genre zugeordnet werden zu können.

Meine Seele weiß von Dir ist ein unterhaltsamer und sauber aufgebauter Roman, der auch die sprachliche Hürde problemlos zu nehmen weiß. Das Thema lässt viel Spielraum, den die Autorin leider nicht vollständig ausgeschöpft hat, obwohl sie sehr gute Ansätze zeigt.