Lautes Geflüster
Wer Erich Fried hört, denkt automatisch an:
"Es ist was es ist sagt die Liebe"
Oder an:
"Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt"
Kein Zitat wurde vermutlich häufiger an die Mauer geschmiert, die einst Deutschland teilte. Fried allerdings ist nicht zu reduzieren auf ein paar Gedichte und Verse, die jeder kennt, jeder schon einmal für irgendjemanden in eines dieser Poesiebüchlein geschrieben hat. Fried war ein Denker ganz besonderer Art. Leise denkend zwar, ruhig besonnen – aber dafür schrien seine Worte. Unüberhörbar.
Eines dieser lauten Sammelbänder ist unweigerlich Zeitfragen und Überlegungen: 80 Gedichte sowie ein Zyklus. Darin vereint er nicht nur die Liebe, sondern Themen wie Trauer, Hoffnung, Mäßigung, Ehe, Gewalt, Freiheit – aber eben auch die Liebe. 18 Mal nimmt Fried sich ihrer an und setzt sie unter Überschriften wie: "Einhüllung", "Briefe aus England nach Dalmatien", oder "Wörterdämmerung".
Erich Fried war ein Jongleur der Sprache. Oft nur brauchte er wenige Worte um zu sagen, was er für sagenswert hielt – und eben genau das macht seine Gedichte aus: Kein Wort zu viel. Mal listet er einfach Ortsnamen auf ("Deutsche Ortsnamen") und erzeugt alleine dadurch ein ungutes Gefühl: Hungerbrunn, Schlachtenmühl, Kriegshaber, Herberg, Judenau, Reuental. Scheinbar wortlos erzeugt Fried ein Schaudern. Darin war er Meister, wie er Meister war im Kritisieren. Unbeteiligt war er nie, der gebürtige Österreicher, Angst hatte er keine, doch, davor das seine alte Katze stirbt. Auch ihrem Altersleid gebühren ein paar Zeilen.
Erich Fried war zeitlebens einer, der sich einzumischen traute, der scheinbar zu allem etwas zu sagen hatte: Pressearbeit, Unterdrückung des Prager Frühlings, Israel und die Palästinenser, Polizeiübergriffe, der Umgang mit politischen Gefangenen und deren Haftbedingungen, die politische Lage im eigenen Land und andernorts. Still war er nie. Feinde hatte er bald viele. Auf der einen Seite.
Auf der anderen Seite war Erich Fried ein Autor, der in unsagbarer schöner Sprache auf den Punkt bringt, wofür andere Autoren 500 Seiten brauchten: Die Liebe. "Rätsel zu einem Geburtstag. Wieviel Jahre werden das sein/treu mal treu mal treu/oder dreimal nein?" Dabei ist nicht alles rosarot. Auch hier nimmt Fried die Brille ab, berichtet über Verrat, Untreue, Reinheit:
Bereinigung
Besser
ich komme
ins Reine
mit meiner Unreinheit
als daß ich
mit meiner
Reinheit
ins Unreine
komme.
In "Tröstungen" nimmt sich der Mann, der schon in jungen Jahren seine Gedanken zu Papier brachte, der Suche an. Der Suche nach sich selbst vielleicht, der Suche Gefundenes nicht als ausreichend zu betrachten. Fried meint, die Suche selbst sei es, die ihm Trost spendet. Dabei nimmt er Umwege in Kauf, literarisch wie im richtigen Leben.
Neben diversen Gedichtsbänden ist bei Wagenbach unter anderem das sehr interessante Buch "Mitunter sogar Lachen" (Berlin, 1992) erschienen. Lebenserinnerungen des Autors, den die Nazis als jungen Mann aus Wien vertrieben und der in England seine neue Heimat fand. Erich Fried legt seine Erinnerung in Form von Erzählungen dar, die nicht immer heiter sind, aber oft.
"Mitunter sogar Lachen" beleuchtet den Lyriker und politischen Moralisten von einer ganz anderen, sachlichen Seite, die durchaus hilft, auch seine Gedichte besser zu verstehen.
Zwei sehr empfehlenswerte Bücher, die es eher zu studieren als einfach so in einem durchzulesen gilt.
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