Das Ende zum Anfang erklärt
Madeleine Bourdouxhe war ihrer Zeit weit voraus. Bereits 1937 erschien Gilles' Frau, das Drama einer zerstörerischen Leidenschaft, das auch Schriftstellerkollegin Simone de Beauvoir schwer zu beeindrucken schien. Die belgische Autorin Bourdouxhe provozierte gewollt, da sie mit ihrem Roman, wie niemand zuvor, weibliche und männliche Sexualität so schonungslose zerlegte, um sie anschließend in zarten Tönen zu einer Geschichte zu vereinen. Traurigen Ausgangs zwar, aber vereint.
Elisa lebt zusammen mit ihrem Mann Gilles und ihren Zwillingstöchtern am Rande einer Industriestadt. Das Leben des Paares ist getaktet. Gilles arbeitet in einer Fabrik und wenn er nach Hause kommt, weiß er, das seine liebende Frau ihn versorgt. Schnell allerdings wird deutlich, dass Elisa mehr zu lieben in der Lage ist als Gilles. Sie vergöttert ihn, alles an ihm, seine Art, seinen Körper. Die Liebe ist nicht mehr normal, sie entweicht der Norm. Elisa verfolgt ihren Mann. Auf Schritt und Tritt. Sie will in seiner Nähe sein, seinen Atem atmen. Seinen Duft inhalieren, selbst die letzten Nuancen nimmt sie war, wenn ihr Mann durch die Tür geht und das Haus verlässt. Stalking hieße das heute wohl.
Längst wird klar, dass das Leben der Familie Schaden nehmen wird. Elisas Art zu lieben ist außergewöhnlich, aber auch Gilles Art, damit umzugehen. Elisa liebt von Herzen, Gilles nimmt bei Bedarf was er braucht, was seine Lust verlangt. Elisa gibt sich auf, will er sein, für ihn sein, mit ihm und für immer.
Dann passiert, was passieren muss. Elisas jüngere Schwester Victorine, sie geht im Hause der Familie ein und aus, provoziert Gilles, bis dieser die Fassung verliert und sich der Begierde und Lust hingibt. Sich fallen lässt. In die Arme einer anderen. Eine subtile Dreiecksgeschichte beginnt in der alle wissen, was geschieht, sich aber keiner wagt, den ersten Schritt zu tun. Elisa ist es schließlich, die handelt. Einen Schlussstrich zieht. Einen endgültigen.
Die 1906 in Lüttich geborene Autorin gehörte in den 1930er Jahren zum literarischen Kreis um Jean-Paul Sartre und der bereits erwähnten Simone de Beauvoir. Spannend ist, das Bourdouxhe nach ihrem Oeuvre rasch wieder von der Bildfläche verschwand. Faith Evans, sie schrieb das Nachwort zum Roman, vermutet, dass die Autorin mit ihren Themen der Zeit ein wenig hinterher hinkte, was sich mit der Vermutung nicht deckt, dass zu ihrer Zeit die Sexualität von Mann und Frau nie so beschrieben wurde, wie eben von Bourdouxhe. Gilles' Frau blieb nach eigener Aussage der Schriftstellerin immer ihr Lieblingsbuch, weil es ihr den ersten Erfolg brachte, wie sie zu Lebzeiten erzählte. Madeleine Bourdouxhe starb 1996 in Brüssel. Weitere große Erfolge blieben aus.
Gilles' Frau ist eigentlich eine klassische Tragödie, deren Ende dadurch eingeleitet wird, das Gilles die Schwester seiner Frau küsst – und das gleich zu Beginn des Romans. Ab diesem Punkt gibt es kein zurück mehr, die Autorin weiß das und lässt ihre Protagonistin in ihr eigenes Ende springen. Bourdouxhe braucht nicht viel, um ein gutes Buch zu schreiben, wie sie nach Gilles' Frau mit ihrem Roman Auf der Suche nach Marie beweist. Die Orte sind einfach, die mitspielenden Personen auch. Und es sind nie viele. Keiner verliert den Überblick. Bourdouxhe Stärke ist, aus wenig viel zu machen. Dabei nutzt sie einen Sprachduktus, der sowohl blumig elegant als auch ruppig und grausam ausfallen kann.
Ein wenig neidisch durfte Simone de Beauvoir auf ihre Freundin gewesen sein, erschien Bourdouxhe Büchlein bereits 1937 während de Beauvoirs Erstlingswerk mit dem französischen Titel "L'Invitée" (Sie kam und blieb) erst 1943 veröffentlicht wurde.
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