Schoßgebete

  • Hamburg: OSTERWOLDaudio, 2011, Seiten: 8, Übersetzt: Charlotte Roche, Bemerkung: Ungekürzte Lesung
Schoßgebete
Schoßgebete
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Wolfgang Franßen
911001

Belletristik-Couch Rezension vonAug 2011

Mein Mann hat einen Scherbenhaufen geheiratet

Haben wir nicht alle unsere Meinung über Charlotte Roche in Beton gegossen? Wir können uns sogar ein Urteil über ihren neuen Roman Schoßgebete erlauben, ohne ihn gelesen zu haben. 500.000 Startauflage, das ist schamlos. Diese Frau kann doch gar nicht schreiben, oder? Verglichen mit den Großkopferten der deutschen Literatur. Und dann die Überraschung ... sie kann es doch. Sie ist die Stimme der MTV-Generation, die plaudert. Ihre Elisabeth muss nachts das Hirn ausschalten, damit sie nicht stumm weiter plaudert.

Roches Lesern würde man wünschen, dass sie von dem ganzen Hype um ihre Person nichts mitbekommen haben. Damit ihr Urteil nicht schon feststeht. Damit sie sich nicht hinters Schlüsselloch stellen, um sich an den Sex-Szenen zu erfreuen, oder nach der Verquickung von Wahrheit und Fiktion süchtig sind. Welcher Autor, welche Autorin wünscht sich nicht von einem Buch, dass es den Leser nicht gleichgültig lässt. Verdammnis oder still schmunzelndes Teilhaben am Buchevent des Herbstes, lautet der Schlachtruf. Das macht das Buch zu einem Bestseller. Und die Geschichte?

Geteert und gefedert bleibt eine Frau zurück, die zu überleben versucht. Nur beim Sex fühlt sie sich frei, weil sie ihren Alltag detailgenau verpackt hat. Hinter der Fassade einer aufmüpfigen, fast Mitte Dreißigjährigen, einer erziehenden Mutter taucht das Heimchen am Herd auf, das gerne eine Zote raushaut, um sich lebendig zu fühlen. Devot hat sie sich ihrem Mann Georg unterworfen. Sie ist ihm Heim, Weib, Gespielin. Und da dies nicht ausreicht, läuft Elisabeth dreimal die Woche zu einer Therapeutin, die sie bei der Hand nimmt, um den schlimmsten Auswuchs im Leben dieser Patientin zu verhindern.

Was nicht möglich ist. Elisabeth ist konsequent. Sie denkt alles zu Ende. Elisabeth will die hundert Prozent, auch wenn sie die nie erreichen wird, wie wir alle wissen. Warum sich aber mit weniger begnügen? Wie Charlotte Roche das beschreibt, ist sicher keine Hochliteratur, aber die Sprache passt zu ihrer Elisabeth. Sie ist nicht fertig. Sie bestürzt. Manchmal erinnert sie an die bleiernen 50er, an Adenauers: "Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?" Lasst uns ein bisschen plaudern miteinander, ein bisschen überziehen, sagt Roche,  dann ist es nicht so schlimm, dann halten wir alles aus.

Gnadenlos wird eine Frau, eine Ehe preisgegeben. Dazu gehört Mut. Vor allem, wenn man damit rechnen muss, dass sie einen belächeln. Trotz des fast authentischen Dramas. Hinter dem die Frage lauert: Wie überlebt jemand einen solchen Schicksalsschlag?

Wohl nicht mit dem therapeutischen Einwurf: Die Zeit heilt alle Wunden. Und so richtet Charlotte Roche den Blick auf eine Frau, die mehr über sich weiß, als sie zuzugeben bereit ist, die sich nach außen stülpt, um sich meisterhaft zu verstecken. Indem sie alles öffentlich ausposaunt. Ihren Mann ins Bordell begleitet. Es aushält, dass ihn der Dreier mit einer Frau erregt, aber er selber nie an einem Dreier mit zwei Männer und Elisabeth teilnehmen würde. Das Extrem wird zum Schutz.

In einer Welt, die das Private nicht mehr kennt, sich bei Facebook trifft, Daten verschleudert, das Gesicht hinhält, damit es fotografiert wird, kommt alles darauf an, bemerkt zu werden. Elisabeth ist die Frau in der Nachbarschaft, über die die Nachbarn reden. Und nicht wenige sind darunter, die sich sagen, mein Gott, die traut sich aber was. In dem Punkt kommen sich Autorin wie Figur nahe. Hierin liegt womöglich auch der Erfolg des Vorgängers Feuchtgebiete, wie des jetzt erschienen Romans Schoßgebete.

Die Scham im Bereich des Sex ist weg. Auch wenn sie im Feuilleton beklagt wird. Flaubert hat eine Hand aus einer Kutsche bei Madame Bovary genügt, um einen Seitensprung zu bebildern. Henry Miller brauchte Paris und die Libertinage, um zum Welterfolg zu führen. Die Neuerscheinungen dieses Jahres sind gefüllt mit Geständnissen. Und seitdem 14-jährige sich auf dem Schulhof die Pornos zeigen, die sie heruntergeladen haben, dürfte jedem klar sein, dass wir nicht mehr die Hände auf die Bettdecke legen, um bloß nicht an Sex zu denken.

Soll man Charlotte Roche lesen? Eindeutig ja. Sie besitzt einen eigenen Ton und versteht sich auf das Verwirrspiel zwischen ihrer Person und ihren Figuren. Im Buch treffen wir auf die verstörende Geschichte einer Frau, die standhält. Sie brüllt das Leben heraus, um es zu spüren. Tag für Tag.

 

"Sex macht mich frei", sagt sie.

 

Was dagegen? Nein.

Schoßgebete

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