Seeherzen

  • Rowohlt
  • Erschienen: Januar 2014
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  • Reinbek: Rowohlt, 2014, Seiten: 336, Übersetzt: Mayela Gerhardt
  • Oxford: David Fickling Books/Random House Children’s Books, 2012, Titel: 'The Brides of Rollrock Island', Originalsprache
Seeherzen
Seeherzen
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Rita Dell'Agnese
601001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2014

Zu sprunghaft

Margo Lanagan macht es ihren Lesern nicht leicht: Sie präsentiert ihnen ein Märchen, das von Anfang an darum ringt, verstanden zu werden. In den Mittelpunkt ihres Romans setzt die australische Autorin die Hexe Misskaella. Sie zeigt die tiefe Einsamkeit eines Mädchens auf, das anders ist als alle anderen – und deshalb weder akzeptiert noch integriert ist. Misskaella wächst in einer großen Familie auf, mag ihre Geschwister und ist doch auch da immer irgendwie ausgegrenzt. Denn sie hat Fähigkeiten, die sie zu etwas Besonderem machen. Nur eine alte weise Frau scheint zu spüren, was es mit dem Mädchen auf sich hat – sie lässt dem Kind durch ihren Enkel Geschenke zukommen, die ihm helfen sollen, mit ihrer Begabung umzugehen. Eine besondere Beziehung hat Misskaella zu den Robben, die im Verlauf der Geschichte immer wieder eine Rolle spielen. Da Misskaella weder besonders attraktiv ist, noch vom Charakter her ein einfaches Mädchen ist, findet sie auch als junge Frau keinen Freund und keinen Anschluss an die Gesellschaft. Das bringt sie dazu, sich an den Fischerfamilien auf der Insel zu rächen. Verbittert zaubert sie aus den Robben schöne Frauen, in die sich die Fischer unsterblich verlieben. Für die Menschenfrauen heißt das, dass sie ihre Männer an die Fabelwesen verlieren, die Männer aber sind in ihrer unglücklichen Liebe gefangen.

Hinter der phantastischen Geschichte steckt viel Tiefgang. Nur verlangt die eigenwillige Umsetzung von den Lesern eine hohe Flexibilität. Nicht nur, weil es immer wieder Szenen gibt, die man mehrmals lesen muss, um wirklich zu verstehen, was die Autorin damit sagen möchte. Auch weil Margo Lanagan sich darin gefällt, auf den Zeitebenen hin und her zu springen, die Perspektive zu wechseln und von einer völlig unerwarteten Seite an die Geschichte heran zu gehen. Es mag ihren virtuosen Umgang mit der Sprache unter Beweis stellen – doch dem Lesefluss tut es einigen Abbruch, wenn das Publikum sich bei jedem Kapitel erneut in die Szene hinein finden muss und zunächst mal darüber rätselt, von welcher Warte aus die momentane Situation denn beschrieben sein könnte. Dadurch, dass der Lesefluss so oft gebrochen wird, kann sich keine richtige Spannung aufbauen. So dümpeln die Ereignisse auf Rollrock Island in einer Grauzone, in der die Leser wohl darauf hoffen, endlich auf den Kern der Erzählung zu stoßen und mit den Protagonisten in die Geschichte eintauchen zu können.

Missakaella schafft es nicht, sich in der Gesellschaft von Rollrock Island einen Platz zu erobern. Genauso wenig schafft es die Hauptfigur des Romans, sich einen Platz in den Herzen der Leserinnen und Leser zu erobern. Die Autorin zeigt zwar subtil die Zusammenhänge von Anderssein und Einsamkeit auf, sie erklärt die Verbitterung der alten Hexe Missakaella und den Hintergrund ihrer Boshaftigkeit, die nichts anders als eine ausgelebte Frustration ist. Aber sie schafft es nicht, Missakaella zu einer Figur zu machen, mit der man ernsthaft mitleiden und mitfühlen mag. Zu kantig ist der Charakter, zu viele unsympathische – wenn auch verständliche – Wesenszüge prägen die Hexe. Der Leser ertappt sich darin, genauso auf Distanz zur undurchsichtigen Figur zu gehen, wie es die Gesellschaft tut. Das Unbehagen gegenüber Missakaella führt aber auch dazu, dass der ganze Roman aus einer gewissen Distanz heraus betrachtet wird und dadurch immer die Gefahr besteht, das Buch in die Ecke zu legen und nicht bis zum Ende dabei zu bleiben.

An sich ist es schade, dass Margo Lanagan mit ihrem Roman etwas über das Ziel hinaus geschossen hat. Sie hat eine wichtige Botschaft zu vermitteln und tut das sprachlich auch auf eine ansprechende Art. Hätte sie etwas mehr Nähe zur Hauptfigur zugelassen, hätte sie wohl das Gros der Leserinnen und Leser abholen können. So bleibt Seeherzen ein Roman, der von einigen Leserinnen und Lesern wohl hochgeschätzt wird, die Mehrheit aber nicht ganz zu überzeugen vermag und es deshalb kaum zum Lieblingsbuch einer großen Fangemeinde schaffen wird.

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