berührt nicht
Der Schriftsteller Martin Mosebach wurde unter anderem mit dem Heinrich-von-Kleist-Preis und Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet. Mosebach lässt sich von seinen Auslandsreisen zu Erzählungen inspirieren. So auch in seinem Roman Die Türkin, der Bräuche und Lebensgefühl der Bewohner Lykiens schilderte. In Das Blutbuchenfest hat Mosebach den Osten Europas für sich entdeckt. Hier versucht er, das materialitätsdekadente Westeuropa und das "simple" Bosnien sich gegenüberzustellen. Das klingt alles bereits ganz spannend und politisch. Was ist die Motivation eines Buches über den Jugoslawienkrieg – im Jahr 2014? Inwiefern könnte die Verarbeitung dieser rezenten politischen Vergangenheit gerade jetzt zu einer Allegorie auf ein zersplitterndes Europa werden? Auf den ersten Blick enthält der Roman brisantes Potential, doch das Augenmerk des Autors ist ein anderes als erwartet.
Mosebach schickt in seinem Roman Das Blutbuchenfest seinen Erzähler anlässlich einer geplanten Kunstausstellung auf die Suche nach dem Künstler Ivan Meštrović und lässt ihn dabei kurz vor dem Ausbruch des Jugoslawienkrieges von Frankfurt am Main nach Bosnien reisen. Der Künstler Meštrović war ein jugoslawischer Bildhauer und Architekt, der die europäischen und nordamerikanischen Kunstströmungen stark beeinflusste; seine Werke greifen zudem stark auf Traditionen seines eigenen Volkes zurück. Hier findet sich dieses Wort, das in den Gedankengängen des Romans immer wieder auftaucht: Volk. Völker, Trennung, Gemeinsamkeit, Herkunft, Nationalität, Kroaten und Serben und Muslime. Heimatlosigkeitsgefühle im Zentrum Europas.
Der Erzähler wird die Geschichte um die Figur der bosnischen Putzfrau Ivana flechten. Diese als simple, direkte und rigorose Frau geschilderte Person packt zu, wo es nötig ist. So schafft sie es sich in dem sozial hoch platzierten Milieu Frankfurts zu behaupten. Ivanas Person wird durch den Ich-Erzähler überlagert und so wirkt ihre Schilderung oftmals karikaturesk. Dennoch wird die Abgrenzung zu den trinkenden, schwafelnden, leeren Menschen des (ex-)elitären Milieus immer schärfer. Wohlstand ist hier kein Problem, sondern ermöglicht überhaupt erst Aktionen. Ivana bietet zwar einen Alternativentwurf, doch die Charaktere des Romans wirken allesamt zu überspitzt, um allgemeingültig zu sein. Dabei bleibt dennoch der Grundfehler erkennbar und mag so manche Identifikationsfläche bieten. Man findet keine Vorwürfe in Mosebachs Roman, sondern der Leser wird dazu angehalten, über so manches zu schmunzeln. Diese Kontrastpunkte spiegeln eine zerfallende Gesellschaft. Auf der einen Seite haben wir fragwürdige Randgestalten, zerstörte und inkonsequente Trinker, die sich um eine Kneipe sammeln. Das Problem dieser Figurenkonstellation findet sich darin, dass sie zu nahe verknüpft ist, zu artifiziell erscheint, dass die Menschen sich eigentlich kennen müssten. Auf der anderen Seite finden wir das naturverbundene dörfliche Leben in Bosnien, Ziegelbrennen und aneinander gewachsene Familien. Wieder eine dieser impliziten Kontrastwirkungen.
Mosebach hat seinem Erzähler einen Blick für die Hässlichkeit der Banalitäten gegeben. So manche der erzählten Episoden wirken stark nach und bestechen durch ihre Bildlichkeit, allen voran die Japanreise und das Schildkrötentrauma sowie die Bosnienreise und die Hochzeitsfeier. Der Roman ist langsam und schwer. Vielleicht etwas zu langatmig, zu vorhersehbar, zu flach. Es gibt keinen Ansporn oder Reiz – was in das gutbürgerliche Frankfurter Milieu passt – aber die Spannung nicht vor dem Kältetod retten kann.
Viele der Gedanken sind bereits ausformuliert, und doch wird so einiges vergessen. Die Erzählung tangiert den Krieg, berührt ihn aber nicht. Der Jugoslawienkrieg wurde von anderen Autoren bereits zureichender behandelt. Und so wirken die dramatischen Todesfälle und die Zuspitzung der Erzählung in der Flucht der Familie Ivanas zeitgleich mit einer dekadenten Party in Frankfurt skurril und passen nicht in das geschaffene Bild. Die erwartete Folgerung bleibt aus, dazu sind alle Bezugnahmen auf Jugoslawien zu klein und knapp. Mosebach hat sich selbst als Reaktionär bezeichnet. Aber dieser Roman genügt den Ansprüchen nicht.
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