Das Polykrates-Syndrom
- Literaturverlag Droschl
- Erschienen: Januar 2014
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- Graz: Literaturverlag Droschl, 2014, Seiten: 240, Originalsprache
Schwarzer Humor auf die Spitze gebracht
Ist es nun eine „Amour fou" oder ein schleichendes Abtauchen in die Abgründe des psychischen Kollaps? Beim Protagonisten Arthur scheint zunächst mal alles in geordneten Bahnen zu laufen. Unspektakulär zwar und auch nicht ganz so erfüllend, wie er sich im Innersten wünschte – doch soweit für den wenig ehrgeizigen Mann in Ordnung. Nach einer akademischen Ausbildung jobbt Arthur in einem Copy Center, lebt ansonsten an Seite seiner Frau, der Lehrerin Rita, ein ereignisloses Leben und besucht regelmäßig seine Mutter im Altenheim, die sich, von zunehmenden Verfolgungsängsten geplagt, nichts dringender wünscht als eine Pumpgun, um die Tauben zu vertreiben. Arthurs Leben gerät jedoch ins Wanken, als die attraktive Alice den Copy-Shop betritt und ihm versteckte Avancen macht. Seine eigene Lethargie überwindend, folgt Arthur Alice – und macht damit den ersten Schritt auf einer Spirale, die ihn in die Abgründe des menschlichen Seins gleiten lässt. Alice verkörpert alles, wonach sich Arthur im Geheimen sehnt und es fällt ihr nicht schwer, ihn zu Handlungen zu bewegen, die ihn weit von sich selber entfernen. Arthurs Welt gerät aus den Fugen, kaum merklich zu Beginn, immer stärker danach, bis es in einem absoluten Fiasko endet, aus dem ein völlig veränderter Arthur hervorgeht.
Es ist an sich eine Stärke des englischen Humors, diese Mischung aus tiefgründigem Schwarz und der Leichtigkeit des süffigen Erzählens. Antonio Fian beweist mit Das Polykrates-Syndrom jedoch, dass genau diese Form von Humor auch im Deutschen Sprachgebrauch ihren Platz hat. Witzig und zugleich abgrundtief verdorben plätschert die Geschichte von Arthur dahin und nimmt auf eine subtile Art gefangen. Wie es Arthur mit Alice geht, so geht es dem Leser mit dem Roman: Wer sich erst darauf eingelassen hat, wird nicht mehr davon loskommen. Es mag zunächst die Leichtfüßigkeit sein, die die ersten Takte der Geschichte begleitet, die gefangen nimmt. Es ist wie ein feiner Sommerabendwind, schmeichelnd und angenehm. Arthur schildert als Ich-Erzähler sein Leben an der Seite von Rita – nicht unbedingt seine große Liebe, aber eine solide Partnerin, die dafür sorgt, dass der unentschlossene Arthur einem roten Faden in seinem Leben folgen kann, ohne durch die Maschen der Gesellschaft zu fallen. Ein erstes Mal aufhorchen wird der Leser, wenn die Sprache auf Arthurs Mutter kommt, die in ihrem Altenheim immer wunderlichere Gedanken pflegt. Die einst als unerbittlich und streng gefürchtete Lehrerin ist davon überzeugt, dass im Heim Menschen ermordet werden. Diese Gedanken verdrängen gar ihre Abneigung gegen Rita, aus der sie keinen Hehl macht. Spätestens jetzt wird der Leser merken, dass der Autor auf die Komponente Psyche setzt. Und das absolut gekonnt.
Antonio Fian spielt auf exzellente Weise mit den Gefühlen seiner Leser. Er lullt sie ein, lässt sie Sympathien aufbauen und zieht dann unvermittelt das Tuch vom Bild, auf dass der Leser unvermittelt vor einer ganz anderen Wirklichkeit steht. Brillant spielt er zudem mit örtlichen Gegebenheiten. Er enthüllt das liebliche Hofburg-Wien als eine Stadt der Bürokratie mit ganz unterschiedlichen Gesichtern. Fians Charaktere sind kantiger als es zunächst der Anschein erweckt. Wahnvorstellungen, morbide Gelüste, unterschwellige Aggressionen, die unvermittelt zum Ausdruck kommen: Keine einzige der Figuren bleibt davon unberührt. Es ist dem Geschick des Autors zuzuschreiben, dass trotz zunehmender Verzerrung – oder Enthüllung? – keine der Figuren den Handlungsfluss durch Überzeichnung stört. Dies, obwohl sich Fian schließlich mit seiner Geschichte auf einer Ebene bewegt, die im Absurden gipfelt.
Fian lotet mit seiner Geschichte Grenzen aus, und das macht er gut. Er nutzt seine sprachlich Eloquenz, um den Leser in die Irre zu führen und ihn dann perplex vor einer völlig unerwarteten Situation stehen zu lassen. Seine Steigerung ins absolut Makabre mögen ihm letztlich selbst Leser verzeihen, die in der Regel keine Affinität zu bluttriefenden Szenen haben. Ein wahrlich gut konzipierter und überzeugend anderer Roman.
Antonio Fian, Literaturverlag Droschl
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