3000 Euro

  • Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Berlin, 2014, Seiten: 208, Originalsprache
3000 Euro
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Sebastian Riemann
651001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2014

Melodrama über Selbstkontrolle und Anständigkeit

Anton und Denise haben Probleme, scheinbar finanzieller, letztlich aber sozialer Natur. Anton braucht Geld und findet nicht den richtigen Weg sich Unterstützung zu verschaffen bei denen, die ihm helfen könnten. Er muss Prozesskosten bezahlen, Schulden begleichen und bräuchte auch ein wenig Bargeld, um ordentlich zu essen und sich wieder ein Dach über dem Kopf finanzieren zu können. Alles verloren im Rausch der unbedachten Jugend, muss er nun die Rechnung bezahlen, die Suppe auslöffeln. Ohne zu wissen, wie ihm geschah, führte ihn sein exzessiver Lebensstil, der gar nicht so weit entfernt ist vom Alltag vieler Gleichaltriger, in den Bankrott und die Schulden. Die Bank fordert von ihm, was er nicht mehr hat, und fordert immer mehr, wodurch seine Aussichten und Hoffnungen auf eine erträgliche Zukunft immer weniger werden. Er wird einen Prozess verlieren, nicht bezahlen können und noch weiter nach unten abrutschen. Er wird sich noch seltener waschen, noch stärker riechen. Die Weichen sind schon gestellt, sein Niedergang wird nur durch Formalitäten und guten Willen hinausgezögert.

Niemand kann Anton retten. Aber viele könnten ihm helfen, Freunde und Familie, die ihn noch wertschätzen, weil er früher doch ein ganz guter Kerl war. Sie sind seine letzte Hoffnung, sein Rettungsanker. Anton weiß, dass er es allein nicht schaffen kann, deshalb macht er sich auf den Weg zu guten Freunden, alten Freunden, entfernten Bekannten und zu seiner Mutter. Er lässt sich mal wieder blicken, unterhält sich über dieses und jenes, meist aber nicht über das wahre Problem, welches ihn auf den Weg brachte. Sein Problem sind die 3000 Euro, die ihm fehlen, aber das größere Problem sind seine Hilflosigkeit im Umgang mit anderen und seine fehlende Selbstkontrolle. Hilfe erbitten, vor anderen die eigene missliche Lage eingestehen, das will ihm nicht gelingen. Unverrichteter Dinge zieht er ab, zurück in die Aussichtslosigkeit. Sein Lage ist brenzlig, daran zweifelt er nicht, aber er kann die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, nicht ergreifen.

Denise wird seine große Hoffnung, obwohl er sie kaum kennt. Sie arbeitet im Supermarkt an der Kasse, dort wo er Flaschen abgibt und günstige Pizzen kauft. Sie kommen kurz ins Gespräch, während die Barcodes am Scanner vorbeifliegen, und verabreden sich, weil sie sich mögen, eine ungewöhnliche Anziehung verspüren. Anton erzählt von seinen Problemen, Denise nicht von ihren. Aber Anton hat es ihr angetan, weil er anders ist als die Männer, die sie sonst kennt. Obwohl sie nur wenige Worte mit ihm gewechselt hat, will sie ihm helfen, Geld für ihn verdienen. Geld, welches sie für sich und die kleine Tochter braucht, einem zukünftigen Obdachlosen aber viel lieber geben möchte.

Denise hat vor Kurzem in einem Porno mitgespielt, seitdem leidet sie unter Verfolgungswahn. Sie glaubt ihr Video wurde gesehen von jedem Mann, der ihr über den Weg läuft, mag er Kunde im Supermarkt, ein Fremder in einer Bar oder der eigene Vater sein. Sie lässt sich vom Produzenten des Porno ausnutzen, ist mit der Erziehung ihrer Tochter überfordert, weiß nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll und fühlt sich in ihrem Elend zu Anton hingezogen.

Die Romanze zwischen den beiden Hauptfiguren ist wenig überzeugend, sie klammert sich an eine nahezu mystische Verbindung der Leidenden und will den Negativtrend der zwei Einzelleben verstärken. Das Schicksal scheint diese beiden Unbeholfenen zusammengeführt zu haben, damit alles noch dramatischer und mitleidiger wird. Kitschig kommt die Zuneigung daher, pornografisch auf ihrem marktschreierischen Höhepunkt. Es baut sich keine Spannung auf, kein nachvollziehbares Interesse, das sich in den Charakteren und ihren Geschichten begründen ließe.

Der weitere Verlauf des Romans vernichtet schließlich all das Potenzial, welches man im ersten Teil gesehen hatte. Die unzeitgemäße Thematik mit ihrem kritischen Ton verliert sich in jugendlichem Trotz und Tagträumerei, die Dramatik der Figuren wird in Selbstgefälligkeit aufgelöst. Viel Klischee wird bemüht, die Ausführung der ursprünglichen Idee will nicht glücken und der Leser bleibt missmutig zurück, weil der Brisanz alle Kraft genommen wurde, Armut und Verzweiflung letztlich unwirklich bleiben, dem Geschehen die Wirkkraft entziehen.

3000 Euro

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