Gedanken über die Schriftstellerei
Was zeichnet eine gute Schriftstellerin aus. Die junge Alice, die davon träumt, just das zu werden, will sich auf einer Urlaubsreise nach Mexiko von einer "Meisterin" inspirieren lassen. Diese erklärt der staunenden, Möchtegern-Autorin, dass Schriftsteller Diebe und Vampire sind. Diebe, weil sie immer bereit seien, Geschichte von anderen Menschen zu stehlen. Vampire, weil sie das Blut, also die Geschichte des Gegenübers wollten. Diese Metapher, die dem kleinen Büchlein seinen Namen gibt, dürfte bei vielen Leserinnen und Lesern für Enttäuschung sorgen. Denn die Erwartungshaltung ist groß. Nicht nur Dörrie, auch ein verheißungsvoller Titel: Doch genau hier liegt der Hund begraben. Dieser Roman ist nur ansatzweise ein Dörrie – und der Titel entspricht kaum dem eher blutleeren Inhalt. Alice plaudert sich durchs Leben, oder besser gesagt, durch die Stationen des Romans. Sie zementiert dabei ein Vorurteil gegenüber jungen Frauen, die sich von Männern aushalten lassen. Träge, egoistisch und vor allem unendlich unreif lebt Alice mit dem wesentlich älteren Pe zusammen. Der Arzt fühlt sich durch die junge Geliebte, die allen Konventionen trotzt, in seiner Männlichkeit bestätigt. Doch Alice langweilt sich, ihre Auflehnung gegen die Konventionen ist eher ein Ausdruck ihrer Unreife. Dieses Bild zieht sich bis fast zum Schluss durch das Buch ... und macht Alice zu einem leicht dümmlichen und uninteressanten Menschen, der kaum eine Ahnung hat, wohin es ihn wirklich zieht. Die gleichermaßen unerwartete wie unglaubwürdige Metamorphose vom antriebslosen Mädchen zur erfolgreichen Frau mag man weder der Protagonistin Alice noch der Autorin Doris Dörrie wirklich abnehmen.
Die Autorin Doris Dörrie hat in diesen Roman wohl ein Stück Autobiographisches gepackt. Sie schreibt über das Geheimnis der Schriftstellerei, über Schreibblockaden, Scheitern und einer unterschwelligen Angst vor dem herbeigesehnten Erfolg, der sich zu einer unüberwindbaren Anforderung heraus wachsen könnte. Diese Gefühle, die man der Autorin durchaus abnehmen mag, sind es letztlich, die dem an sich wenig aussagenden Roman noch eine gewisse Tiefe zu verleihen vermögen. Doris Dörrie lädt die Leserinnen und Leser dazu ein, sie auf einer teils launigen, teils nachdenklichen Betrachtung über den Beruf eines Schriftstellers zu begleiten. Hätte sie dies so deklariert, wären die eingefleischten Dörrie-Fans ihr willig gefolgt, andere hätten aber möglicherweise die Finger von diesem Roman gelassen. Wohl im Wissen genau darum wird dieser Inhalt erst deutlich, wenn der Leser mitten im Text steckt.
Sprachlich vermag Dörrie das zu bieten, was von ihr erwartet wird: Einen unaufgeregten, angenehmen Schreibstil, der Raum für eigene Gedanken lässt und es doch immer wieder fertig bringt, Bilder im Kopf des Publikums entstehen zu lassen. Die Autorin bewegt sich hier auf sicherem Terrain. Ihre bisherigen Romane sind vom Publikum gut aufgenommen worden, sie weiß, dass ihre Sprache ankommt und verstanden wird. Auf dieser Sicherheit baut sie auf und macht auch in diesem Roman, der so anders ist als ihre bisherigen Romane keine sprachlichen Experimente.
Wer Dörrie mag, und bereit ist, sich auch mal auf eine eher blutleere Geschichte einzulassen, wird bei Diebe und Vampire nicht erst durch den Schluss mit dem Roman versöhnt – andere dürften gerade bei dieser Schluss-Szene leise seufzen und sich insgeheim wünschen, genau das schon vorher serviert zu bekommen: Eine einfach geschriebene Szene mit starkem Inhalt und einer unglaublichen Poesie. Damit hat Doris Dörrie bewiesen, dass ihr diese wunderbare Gabe nicht abhandengekommen ist – und lässt für einen nächsten Roman Gutes hoffen.
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