Baum der Nacht
- Kein & Aber
- Erschienen: Januar 2007
- 1
- Zürich: Kein & Aber, 2014, Seiten: 448, Übersetzt: Ursula-Maria Mössner
- Zürich: Kein & Aber, 2007, Seiten: 3, Übersetzt: Sandra Schwittau und Daniel Brühl
Mit Leichtigkeit und Eleganz zum Schlagabtausch
Sensibel und schockierend sind die Geschichten, die uns Truman Capote hinterlassen hat. Sie sind eine unschätzbare Bereicherung der gegenwärtigen Literatur und bescheren dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit immer noch viel Anerkennung und Achtung. Zu Recht, denn Capote ist einzigartig, eine Lichtgestalt des 20. Jahrhunderts.
Im vorliegenden Band versammeln sich einundzwanzig Erzählungen des gefeierten Schriftstellers, allesamt beeindruckend und bewegend. Das Genie des Autors kommt stets zum Tragen, man kann gar nicht enttäuscht werden, nur immer wieder überrascht. Die Themen sind sehr vielfältig und die Charaktere jedes Mal bestechend. Capote versteht es mit wenigen Worten ein lebendiges Bild von einer Person zu schaffen, eine gleichsam lebendige Person an ihre Seite zu stellen und die beiden dann aufeinander los zu lassen, zuerst in subtiler, gesitteter Manier, dann in einem Ausbruch, der die wahren Intentionen oder den unverhüllten Charakter zeigt. Es sind diese Personen, die den Leser bewegenund den besonderen Reiz dieser Erzählungen ausmachen, weil man so schnell und so leicht eine Beziehung zu ihnen aufbaut, mit ihnen sympathisiert, ihnen misstraut, mit ihnen leidet oder über sie lachen muss. Doch ist Capote nicht nur ein Meister im Erschaffen der Figuren, samt der Nähe, die sie zum Leser herstellen, sondern ebenso meisterhaft ist auch sein Spiel mit den Gefühlen und Gedanken, die der Leser nur allzu leichtgläubig an die Menschen in den Erzählungen heftet. Oft muss man seine Sicht ändern oder zumindest überdenken, meist wird man überrascht von den Handlungen oder Worten, die nicht zum Bild passen wollen, das man sich noch kurz zuvor von einer Figur gemacht hat. Die Rollen, die den Personen zugedacht waren, werden schnell zu eng und heraus platzen sie, ohne Vorwarnung und mit viel Krawall. Oft wird es dabei bedrohlich, es liegt Gewalt in der Luft und jemand muss um sein Wohlbefinden fürchten.
Viele der Figuren in den Erzählungen sind verletztliche Frauen. Sie sind entweder besonders jung oder alt oder befinden sich in einer delikaten Situation. Ihnen gegenüber stehen Personen, die versuchen ihre Schwächen ausnutzen und dabei einen Vorteil für sich herausschlagen wollen. Es geht um Seemänner, die junge Mädchen küssen, um mysteriöse Geistermädchen, die alte Frauen überrumpeln, um undurchsichtige Gaukler, die erst nervtötend und dann erschreckend sind. Die Chemie zwischen den Beteiligten ändert sich mitunter sehr schnell, in einem Moment herrscht noch Harmonie oder man lernt sich höfflich kennen und schon im nächsten Moment wird eine Drohung oder Beleidigung ausgesprochen.
Sprachlich sind die Erzählungen ein Fest. Sie sind einfach geschrieben und bieten einen unvergleichlichen Lesefluß, der die Ereignisse vorantreibt, sie zu keiner Zeit hindert oder gar erschwert. Inhalt und Sprache leben in Capotes Geschichten in größter Harmonie, nichts wirkt gezwungen, sondern natürlich leicht und elegant. Selten war Lesen so erhebend und leichtfüßig wie bei diesem Band Erzählungen.
Miriam erzählt von einer alten Witwe, die niemanden hat, mit dem sie ihren Lebensabend verbringen kann. Die alte Dame ist allein und erschöpft. Als sie eines Tages ins Kino geht, lernt sie ein kleines Mädchen kennen, das auf den Namen Miriam hört und sich von ihr einladen lässt. Froh über die Gesellschaft stimmt sie zu und ahnt nicht, dass die Kleine sich nun dauerhaft an sie binden will. Bald steht sie vor der Tüt der Witwe, verlangt dieses und jenes, spricht dabei im Befehlston und wandelt durch die Wohnung als wäre es ihre eigene. Die alte Frau ist verwundert und überfordert, hat sie doch kaum Kontakt mit Menschen und weiß sich nicht recht zu verhalten gegenüber einem derart dreisten Mädchen. Letztlich bleibt ihr nichts anderes übrig als die Nachbarn um Hilfe zu bitten, doch die können die kleine Miriam nicht in der Wohnung finden und für einen Moment wirkt die alte Witwe wie eine sehr traurige und verwirrte Frau, die nun einen hohen Preis für ihre lange Einsamkeit zahlen muss. Zweifel kommen auf und werden von anderen Zweifeln abgelöst.
In Wie ich die Sache sehe lernt der Leser einen jungen Mann kennen, der vor Kurzem geheiratet hat und sich nun in einer brenzlichen Situation wiederfindet. Seine Frau, gleichsam jung und unerfahren, überredete ihn nach Admirals Mill umzusiedeln, in ihr Geburtshaus, welches im ländlichen Süden der Vereinigten Staaten von ihren Tanten geführt wird. Der Mann gibt seine Anstellung auf, um mit seiner schwangeren Frau in das alte Haus zu ziehen, doch bald bemerkt er, dass seine Entscheidung ein Fehler war. Er hat keine Arbeit und wird von den Tanten seiner Frau schlecht behandelt. Alsbald ändert sich auch das Verhalten seiner Frau und er sieht sich allein ankämpfen gegen die Tyrannei der Frauen des Hauses. Ungerecht erscheint die Welt aus seiner Sicht und grauenhaft die Tanten, die ihn malträtieren, doch bald erscheint auch der junge Mann in einem anderen Licht und lässt den Leser verloren mit all den wirren Charakteren zurück. Die Spannung im Haus spitzt sich weiter zu und schließlich kommt es zur Katastrophe, bei der Bürgerkriegssäbel und Schlachtermesser geschwungen werden. Der Leser wird dabei hin- und hergerissen zwischen den Figuren, zwischen Symphatie und Abneigung.
"Aber das, was Eunice mit Marge gemacht hat, das ist wirklich der Gipfel. Sie hat meine Kleine auf derart niederträchtige Weise gegen mich aufgehetzt, dass einem die Worte fehlen. Das ging sogar so weit, dass sie mir freche Widerworte gab, aber da hab ich ihr ein paar geknallt und der Sache ein für alle Mal ein Ende gemacht."
Truman Capote war einer der bekanntesten Schriftsteller des letzten Jahrhunderts. Ruhm erlangte er schon früh, mit 21 Jahren konnte er einige Erzählungen veröffentlichen, darunter Miriam und Wie ich die Sache sehe. Bald folgten Romane, welche gleichsam wohlwollend in der Öffentlichkeit aufgenommen wurden. Mit Frühstück bei Tiffany (1958) und Kaltblütig (1965) schrieb er zwei moderne Klassiker der nordamerikanischen Literatur, welche ihn zu Lebzeiten und darüber hinaus sehr bekannt machten. Beide Bücher wurden sehr erfolgreich verfilmt. Im Jahre 2006 erhielt Philip Seymour Hoffman den Oscar als bester Hauptdarsteller für seine Rolle als Capote in der letzten Verfilmung von Kaltblütig.
Deine Meinung zu »Baum der Nacht«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!