Wir haben Raketen geangelt

  • München: Carl Hanser, 2014, Seiten: 240, Originalsprache
  • Bochum: Roof Music, 2015, Übersetzt: Karen Köhler und Sandra Hüller
Wir haben Raketen geangelt
Wir haben Raketen geangelt
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Rita Dell'Agnese
851001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2015

Geschichten mit eigenem Zauber

Kurzgeschichten sind nicht jedermanns Sache. Und so dürfte der Zusatz "Erzählungen" auf dem Cover von Wir haben Raketen geangelt zunächst mal den einen oder anderen Leser zögern lassen. Wer sich dann nicht dazu durchringen kann, zuzugreifen, verpasst jedoch ein außergewöhnlich berührendes Buch. Denn es sind nicht einfach Kurzgeschichten, die hier zusammengetragen wurden. Es sind kurz Lebenseinblicke, die hier von der Autorin Karen Köhler präsentiert werden. Eindrücke, die auf ihre ganz eigene Art betroffen machen. Denn fast in allen Geschichten werden Weltbilder erschüttert und wird angeregt, eine als aussichtslos scheinende Situation anders zu beleuchten oder auf jemanden offen zuzugehen, den man üblicherweise kaum beachten würde.

Es sind Geschichten von Begegnungen, die ungewöhnlich und genau deshalb faszinierend sind. Ob es nun die junge krebskranke Frau ist, die glaubt, keine Perspektive mehr zu haben, bis sie einem lebensfrohen älteren Mann begegnet, der ihren Blickwinkel verändert und ihr so Mut macht, wieder an sich zu glauben. Um eine Veränderung der Perspektive geht es auch in anderen Geschichten. Und immer wieder um die Begegnung mit einer völlig anderen Kultur, dem Abbauen von Vorurteilen und der Chance, sich in einem völligen Chaos neu zu finden. Grundsätzlich jedoch lebt in den Geschichten eine große Traurigkeit, der zwar melancholische Schönheit inne wohnt, die jedoch zum Teil bedrückend bleibt.

Natürlich ist bei einer Thematik, die auf dieser menschlichen Ebene angesiedelt ist, immer auch gefährlich, einen Grundplot auszuwalzen und die Leser damit auf Dauer zu langweilen. Karen Köhler hat ihre Erzählungen sehr facettenreich und abwechslungsreich gestaltet, so dass sie diese Problematik weitgehend im Griff hat. Ihre Geschichten sind auf unterschiedliches Publikum ausgerichtet, nicht alle können mit jeder Geschichte warm werden. Diesen Anspruch scheint die Autorin auch niemals gehabt zu haben. Sie präsentiert einen Reigen von Erzählungen, die jede einzeln für sich genossen werden sollte. Denn eines vermag die Zusammenstellung nicht: Eine Einheit bilden, die in irgendeinem Zusammenhang zueinander steht. So sollte man sich unbedingt gönnen, den Kopf frei zu bekommen von einer Geschichte, bevor man sich an die nächste Erzählung heran macht. Sonst wird sich die Intensität der einzelnen Geschichte kaum richtig entwickeln können.

Nicht jede, aber etliche der Erzählungen rufen nach einer Vertiefung. Sie hätten durchaus als Basis für ein eigenständiges Buch dienen können, haben viel Ausbaupotenzial, das kaum genutzt ist. Das Eindampfen auf eine Kurzgeschichte tut nicht allen der Erzählungen gut – einige lassen etwas ratlos zurück oder wirken auf eine unangenehme Art unfertig. In dieser Hinsicht mag man sich des Eindrucks nicht erwehren, als habe Karen Köhler das Bedürfnis verspürt, nicht nur ein eigenes Buch zu schreiben, sondern bei ihrem Debut auch zu beweisen, dass sie einen größeren Ideenschatz besitzt und durchaus in der Lage wäre, auch Romane zu schreiben. Entstanden ist dabei etwas, das sich zwar nicht einfach so mal einordnen lässt, das jedoch auch gar nicht eingeordnet werden muss. Vielmehr wird hier eine feine Arbeit präsentiert, die mit manchen Vorurteilen gegen Kurzgeschichten radikal aufräumt und die in der Lage ist, selbst jenes Publikum zu fesseln, das sich vertieft mit einem Thema auseinander setzen möchte. Dass das so gut gelungen ist, hat allerdings nicht nur mit der Themenwahl zu tun – es ist auch der Schreibstil von Karen Köhler, die eindeutig noch auf der Suche nach dem für sie Passenden ist. Daran mögen die Leser genauso ihren Anteil haben, wie an den Geschichten selber. Dass nicht jeder Stil passt, stört allerdings nicht.

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