Graphit

  • Suhrkamp
  • Erschienen: Januar 2014
  • 0
  • Berlin: Suhrkamp, 2014, Seiten: 207, Originalsprache
Graphit
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Sebastian Riemann
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Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2015

Den Alltag ergänzen und neu erbauen

Schwer zu fassen. Die Vielfalt und Kreativität in den neuen Gedichten Marcel Beyers sind überwältigend, sie halten sich nicht an Grenzen, überraschen immer wieder den langsamen Leser, der mit Muse und Mühe die Verse aufnimmt. Ein beachtlicher Band, der vor Kurzem in Bremen ausgezeichnet wurde.

Nachdem er in den letzten Jahren hauptsächlich Romane, Essays und Erzählungen publizierte, hat Marcel Beyer nun mit Graphit wieder ein Buch Gedichte vorgelegt, was ihm viel Lob und Anerkennung in der Öffentlichkeit einbrachte. Sind die Meinungen allesamt zustimmend, so verschieden sind sie in ihrer Lobpreisung, denn Graphit ist nicht nur sprach- und bildgewaltig, sondern auch in großem Maße facettenreich. Man kann sich kein Gedicht herausgreifen und es als Repräsentant verkaufen, vielmehr steht eine Anzahl kleiner Werke gleichberechtigt nebeneinander, nicht unterschiedlich im Aussehen, aber im Charakter. In flotten Quartetten durchmisst Beyer den sprachlichen Raum und den thematischen gleich dazu. Schnell sind die Gedichte und die ihnen innewohnenden Ereignisse und Wandel, so schnell mitunter, dass der Leser stockt, weil er sich vom Fluss der Sprache vorschnell verführen lies.

Beyer vermag in wenigen Zeilen verschiedene Perspektiven zu vereinen, unterschiedliche Stimmungen einzufangen, Widersprüche aufzuzeigen und am Ende alles in einem kurzen Streich zusammenzubringen. Das erfordert vom Leser viel Aufmerksamkeit, denn auf so kurzem Raum wie den vorliegenden Gedichten gibt es keine Vorankündigungen. Verwirrung kann im ersten Moment entstehen, doch mit einem zweiten oder dritten Blick wird meistens mehr Klarheit erlangt, kann man sich besser einlassen auf das Vorgebrachte.

Ganz schmucklos geht es bei der Grillmeisterin zu, die Hitze der Kohlen sorgt für Schweiß, gerötete Wangen und Achseln, mit einer Zange wird man herbeigewunken. Doch werden nicht so sehr Würstchen und Koteletts gewendet, sondern vielmehr die Zeit rasiert, die Zeit der hungrigen Männer.

Aber paß auf – eine Grillmeisterin
ist viel allein. Sie zeigt
dir Tricks – wie leicht
Geflügelknochen brechen.
Und dann erzählt sie – Zange,
Messer, messerscharf,
erzählt dir die Geschichte
vom gebratenen Mann.

Eine unspektakuläre, alltägliche Situation wie das Grillen wird in seine Bestandteile, in sein Personal, seine Materialien und Besonderheiten zerlegt, kurz darauf wieder zusammengesetzt, ergänzt durch ein neues Element, welches sich nahtlos einfügt in die beschriebene Situation und den Zeilen die Bedeutung verleiht. Ohne viel Worte stellen sich die Figuren auf, die Grillmeisterin und der von ihr herbeigerufene Dichter, erlangen Lebendigkeit durch die Kleinigkeiten um den Grill und die Spannung, die zwischen beiden herrscht. Auf der Hut muss man sein vor der einsamen Frau, die mit Tricks zu verführen weiß, deren Worte am Ende schärfer als ihr Messer sind.

Beyer ist bekannt für seine Verweise auf den zweiten Weltkrieg und Nazideutschland, immer wieder tauchen sie in seinen Werken auf, so auch in Graphit. Die dritte Gruppe Gedichte weist zahlreiche Ortsnamen, Jahreszahlen und Personen auf, die sich auf Vergangenes beziehen, oft mit Bezug zum heutigen Wohnort des Dichters. Dresden, aber auch Pilsen und Prag werden genannt, Nervenkriege, Nazis und Militärs. Mitunter finden historische Daten ihren Eingang in die Vierzeiler, der achte Mai als Tag der Eroberung Dresdens durch die rote Armee, der Anschlag auf Heydrich, den Organisator des Holocausts, in Prag 1942, seine verwundete Milz.

Der Sprache als unerschöpflichem Schatz ist die fünfte Sammlung gewidmet. Es gibt tödliche Gedichte, Räusperware, Mischmund und auch des Menschen bester Freund ist anwesend.

Der Hund, mit dem ich spielte, war
ein Sprachhund, der sich im
Wörterbuch verlaufen hatte
Anfang Januar, Der Hund, mit dem
ich sprach, sah mir beim Reden zu,
sein blaues Samojedenauge starr
auf meinen Mund gerichtet...

Leicht kann man sich verlieren in Marcel Beyers Buch, zwischen den Zeilen, innerhalb einzelner Wörter und über die Seiten, die sehr unterschiedliche Töne anschlagen können und doch zusammengehören. Verzauberte Poesie, mal düster, mal munter, immer eine Bereicherung, wenn auch schwer zu fassen.

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