Der Heptameron. Erzählungen der Königin von Navarra
- Fr. Aug. Klemens Werthes und Johannes Ith
- Erschienen: Dezember 1790
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- North Charleston: CreateSpace Independent Publishing Platform, 2013, Seiten: 348, Übersetzt: Wilhelm Förster
- Paris: o.A., 1558, Titel: 'L'Heptaméron des nouvelles de tresillustre et tresexcellente Princesse Marguerite de Valois, Royne de Navarre', Originalsprache
- Berlin: Fr. Aug. Klemens Werthes und Johannes Ith, 1791, Titel: 'Margaritha, der Königin von Navarra, romantische Erzählungen, eine freye Uebersetzung des Heptameron'
Religiosität, Gewalt und Leidenschaft
Margarete von Navarra (Marguerite de Navarre, Marguerite D'Angoulême), eine ältere Schwester des französischen Königs Franz I, geborene Prinzessin von Valois, die durch ihre zweite Ehe mit Henri d'Albret seit 1527 Königin von Navarra war, wurde am 11.4.1492 in Angoulême geboren und ist am 21.12.1549 auf Schloss Odos bei Tarbes gestorben. "L'Heptaméron des nouvelles de tresillustre et tresexcellente Princesse Marguerite de Valois, Royne de Navarra", eine posthum 1558 veröffentlichte Novellensammlung, ist ein Spätwerk der Autorin, die unter anderem auch mystische Schriften, Moralstücke und Liebesgedichte verfasste. Einzustufen ist Marguerite geistig und politisch als dem Evangelismus von Meaux nahestehende Förderin des neuen Glaubens (Protestantismus), als Befürworterin einer Reglementierung des Feudaladels.
Ein französisches Dekameron
Marguerite begann mit ihrer in die Weltliteratur eingegangenen, zur Hochrenaissance zählenden Sammlung 1540. Sie hatte vorgehabt, wie Boccaccio, dessen Werk sie 1545 von Antoine Le Macon vom Italienischen ins Französische übersetzen ließ, ein Decamerone, ein "Zehntagewerk", zu schreiben. Doch von den hundert geplanten Novellen waren erst 72 beendet, als sie 1549 starb. Unter dem Titel Histoires des amans fortunez erschien 1558 die von Marguerites Kammerdiener Pierre Bouaystuau anonym herausgegebene verstümmelte Erstausgabe. 1559 besorgte Claude Gruget, ebenfalls ein ehemaliger Kammerdiener Marguerites, eine dem Original nahestehende Ausgabe, die er "Siebentagewerk", L'Heptaméron, nannte.
Die erste deutsche Ausgabe wurde unter dem Titel "Margaritha, der Königin von Navarra, romantische Erzählungen, eine freye Uebersetzung des Heptameron" im Jahr 1791 in Berlin bei Fr. Aug. Klemens Werthes und Johannes Ith veröffentlicht.
Ein standesgemäßer Zeitvertreib
Entsprechend der italienischen Vorlage sind die Novellen in eine Rahmenhandlung gefasst. In einem September in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts vertreibt ein schweres Unwetter die Gäste aus den Bädern von Cauterets in den Pyrenäen (der engeren Heimat Marguerites). Durch Zufall versammeln sich zehn noble Damen und Herren in der Notre-Dame de Serrance, nachdem sie gefährliche Abenteuer überstanden haben - zwei Raubüberfälle, einen Angriff durch einen Bären, die Überquerung eines reißenden Flusses -, bei denen jeder Reisende einen oder mehrere Begleiter auf tragische Weise verloren hat. Während sie auf die Fertigstellung einer Brücke warten, die ihnen die Heimreise nach Frankreich ermöglicht, wollen sie sich die zehn bis zwölf Tage, die die Bauarbeiter brauchen, angenehm und standesgemäß vertreiben.
Die fromme Oisille schlägt allmorgendliche Bibellesungen vor, der sinnenfreudige Hircan bevorzugt erotische Zweisamkeit mit seiner Frau Parlamente. Diese aber schlägt einen Zeitvertreib vor, an dem alle teilhaben können. Jeder soll in Anlehnung an das Decamerone eine Novelle erzählen, im Gegensatz zu Boccaccio aber nur solche, die auf Tatsachen beruhen. Die Autorin beansprucht, dass die Novellen authentisch sind, und sie bemüht sich auch um eine authentische Rahmenhandlung, in der sie sogar selbst Erwähnung findet. Parlamentes Vorschlag wird angenommen.
So laufen die folgenden sieben (planmäßig zehn) Tage nach dem immergleichen Schema ab: Morgens liest Oisille aus der Bibel, anschließend geht es zur Messe. Nachmittags werden reihum auf einer schönen Wiese am Fluss Gave zehn Geschichten erzählt, abends geht man gemeinsam zur Messe, nachts beweisen sich die Ehepaare aus der Gesellschaft ihre Liebe. Dass die um das Thema Liebe kreisenden Geschichten nicht nur von religiösen Handlungen eingerahmt sind, sondern dass die Mönche verborgen in einem Graben hinter einer Hecke ihnen zunächst heimlich und später mit Erlaubnis der Erzähler lauschen, vermittelt den Geschichten einen besonderen Reiz, zumal viele der Novellen sich mit den fleischlichen Gelüsten von Kirchenvertretern, dem Zwiespalt zwischen körperlicher Liebe zu einem anderen Menschen und der geistigen Liebe zu Gott befassen. Gleichwohl erscheinen die Novellen entsprechend den verschiedenen Temperamenten der Erzähler sehr unterschiedlich und werden auch sehr verschieden von ihnen im Anschluss kommentiert, die Leser damit zum eigenen Überdenken der Novellen herausfordernd.
Schattenseiten der Liebe
Die junge und lebenslustige Nomerfide beleuchtet das Liebesleben von der komischen Seite. Sie berichtet von einem Franziskaner, der seine Predigten mit doppeldeutigen Zoten versieht und die Damen zum Erröten bringt. Hircan lässt die Sinnlichkeit über die Ehrbarkeit siegen, mit der es bei den Menschen, die von Natur aus dumm sind, ohnehin nicht weit her ist. Für ihn sind die Frauen flatterhafte und schamlose Geschöpfe, die nur allzu leicht von der körperlichen Liebe überwältigt werden: Eine Witwe will nicht glauben, daß ihr junger Sohn dem Dienstmädchen nachstellt und tauscht mit ihr das Bett. Ihr Sohn kommt zu ihr, im Glauben, es sei das Mädchen. Die Mutter aber kann sich gegen die eigenen Wollust nicht wehren, so dass sie von ihrem Sohn geschwängert wird.
Für die rationale, kluge Parlamente, die ausgewogene weltanschauliche Positionen vertritt, steht die Ehrbarkeit an höchster Stelle, und ein reines Gewissen entschädigt allemal für entgangenen Lustgewinn. Jede Dame ist für ihr Gewissen selbst verantwortlich und darf ihre Ehre nicht einfach einem Mann anvertrauen, dem oftmals das eigene Vergnügen wichtiger ist als der gute Ruf der Dame. So erzählt sie von einem Schiffskapitän, der seiner angebeteten Dame einen wertvollen Diamanten schenkt. Sie aber schickt den Edelstein der Ehefrau des Kapitäns und wiegt sie im Glauben, es sei ein Geschenk von ihrem Mann. Damit macht sie die Ehefrau sehr glücklich, denn die hatte schon an der Liebe ihres Mannes gezweifelt. Für Parlamente existiert auch die zeitlose, ideelle Liebe zwischen Mann und Frau: So gibt sich ein Engländer schon mit einem Handschuh seiner Angebeteten zufrieden, da sie ihn nicht liebt und er sie in seiner Anständigkeit nicht überreden und drängen will, wie die meisten Männer es an seiner Stelle machen würden.
Für Simontault, der in Parlamente verliebt ist und sie immer wieder vergeblich um Gunstbezeugungen bittet, sind die Frauen grausam: Einer Dame am Königshof macht es Spaß, die Männer in Verzweiflung zu stürzen. Dann aber verliebt sie sich ernsthaft und beginnt eine stürmische Affäre. Nach einer heftigen Auseinandersetzung lässt sie sich zum Schein auf eine Versöhnung ein. Ihre Rache gelingt, der Mann wird zum Gespött des Hofes.
Geburon ist überzeugt, daß Güte und Bosheit auf Erden gleich verteilt sind und es auch in unteren Ständen Frauen gibt, die wissen, was Ehre ist: So entwischt eine resolute Schifferin trickreich zwei Franziskanern, die sie auf der Überfahrt vergewaltigen wollen und stellt sie vor der Öffentlichkeit bloß. Geburon erzählt auch von dem Benediktiner, der sich in eine schöne Nonne verliebt und sie mit den miesesten Tricks verführen will. Sie aber hält fest an ihrer Liebe zu Gott, erträgt alle Strafen und Unbilden.
Am Ende wird mit Hilfe der Königin von Navarra das Unrecht gutgemacht. Der liebestolle Benediktiner wird bloßgestellt, die Nonne aber wird für ihre Gottgefälligkeit belohnt und vom gnadenvollen König zur Äbtissin eines Klosters gewählt, das sie reformiert. Die fromme Witwe Oisille, die der christlichen Ethik verhaftet ist, berichtet von der liebestollen Herzogin, die sich in einen Edelmann verliebt, der aber bereits eine andere Dame liebt. Angestachelt von Eifersucht und Rachegefühlen treibt sie das ehrbare und tugendhafte Paar in den Tod und wird am Ende vom eigenen Ehemann für ihre Bosheit umgebracht. Jede noch so ehrbare und tugendhafte Liebe, so Oisille, habe ihre Bitternis.
Hinter den Erzählern hat die Autorin historische Persönlichkeiten versteckt. Die Novellen zeigen die Liebe vor allem von ihrer Schattenseite: Inzest, mörderische Eifersucht, Vergewaltigung, Dummheit, Rachlust, Bigamie, Sadismus, Verrat, Sexgier, Betrug und Selbstbetrug. Selten ist Liebe eine positive Erfahrung. Oftmals wird Liebe geheuchelt, um eigene Lust zu befriedigen; oder man redet sie sich ein, um eigene Defizite zu kompensieren. Ist sie selbstlos und schön, dann währt sie meist nicht lang, da die Verliebten an der Lasterhaftigheit und Bosheit der Mitmenschen zugrunde gehen; oder die Liebenden kommen gar nicht erst zusammen, der endgültige Liebesgenuss bleibt verwehrt, und oft stirbt einer der Liebenden an seinem Kummer.
Naturgemäß sind die Novellen hauptsächlich tragisch, problematisierend und weniger komisch. Am höchsten wird die Liebe zu Gott eingestuft, die rein und unbefleckt ist. Bisweilen führt die Liebe zu einem Menschen erst zur Gottesliebe, wie bei dem Ritter, der von seiner Dame auf eine harte Probe gestellt wird und sieben Jahre auf sie warten muss. Die Kirchenvertreter selbst aber sind allesamt negativ charakterisiert als heuchlerische, schändliche Männer, die ihre Position ausnutzen, um Frauen zu schänden. Selbst der Abt von Notre-Dame, der die Gesellschaft bei sich aufnimmt, zeichnet sich weniger durch Frömmigkeit und Nächstenliebe denn durch Gewinnsucht und Egoismus aus.
Die Geschichten, die ihre Protagonisten bis auf die Geistlichen nie diffamieren, sondern ein Plädoyer für Toleranz und Menschlichkeit sind angesichts der Schwächen, dienen als Exempel für die Mannigfaltigkeit der teilweise existentiellen Versuchungen und Leiden sowie für die sehr unterschiedlichen Reaktionen der Menschen auf diese Prüfungen, die sie bestehen oder an denen sie scheitern. Sie sollen der Unterhaltung und der Belehrung gleichermaßen dienen. Lange Zeit wurde die Novellensammlung aufgrund ihrer teilweise doch recht derben Geschichten jedoch falsch interpretiert und als sittenloses Machwerk abgetan.
Fazit
Eine von Historikern und Romanisten vielfach analysierte Sammlung von Gesellschaftsszenen, die sich zu einem Zeitbild von hoher literarischer Qualität fügen und heute zur Weltliteratur zählen.
Margarete von Navarra, Fr. Aug. Klemens Werthes und Johannes Ith
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