Der Garten über dem Meer

  • Bochum: Roof Music, 2014, Übersetzt: Roger Willemsen
Der Garten über dem Meer
Der Garten über dem Meer
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Almut Oetjen
841001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2015

Existenz im Reagenzglas

Rosamaria liebt Eugeni, trennt sich aber von ihm, weil sie sich durch die Ehe mit Francesc gesellschaftlich besser stellen kann. Natürlich kann sie ihre große Liebe nicht vergessen. Francesc und Rosamaria verbringen ihre Sommer mit Freunden in ihrer prunkvollen Villa am Meer. Auf dem Nachbargrundstück des Paares entsteht ein repräsentatives Haus, in das, nach Jahre währenden Bauarbeiten, Eugeni, seine Frau und deren reicher Vater ziehen. Das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Bewohner beider Häuser legt nach und nach das Fundament der Beziehungen bloß. Es geht um Geld, Einfluss, Posen, Partys, vielfältige Möglichkeiten, die innere Leere aufzufüllen. Immer neue Vorhaben sollen Sinn in das Leben bringen – der Bau eines Pferdestalls, die Anschaffung teurer Pferde, Fahrten mit dem Motorboot, mit Wasserskiern, die Verbesserung der Fertigkeiten über die Anstellung eine Lehrers für Wasserski. Irgendwann gibt es einen Toten...

Erinnerungen an eine andere Zeit

Mercè Rodoreda (1908-1983) zählt zu den bedeutendsten katalanischen Schriftstellern. Den Spanischen Bürgerkrieg erlebte sie in Katalonien, den Zweiten Weltkrieg im französischen Exil. Später lebte sie in Genf, arbeitete als Übersetzerin für die Unesco und begann nach bald zwanzigjähriger Pause wieder mit dem Schreiben von Literatur. In ihrem Werk ist der Krieg ein wichtiges Thema. Ihre erfolgreichsten Romane, die sie auch bei uns bekannt gemacht haben, sind Auf der Plaça del Diamant (1978; „La plaça del diamant", 1962) und Der zerbrochene Spiegel (2000; „Mirall trencat", 1974). Rodoredas Erzähler in Der Garten über dem Meer ist ein alter, namentlich nicht genannter Gärtner, der nie zu denen gehörte, von denen er erzählt. Deshalb hat er nur eine beschränkte Perspektive, wendet sich aber in verklärender Erinnerung der Vergangenheit zu. Er befindet sich als stiller Beobachter im Zentrum des Geschehens. Die Reichen, die ihre Sommer während sechs Jahren am Meer verbringen, weisen alle eine Verbindung zu ihm auf, von der sie nicht unbedingt immer wissen.

In ihrer Erzählung Weil Krieg ist schickt Rodoreda den 17-jährigen Adrià durch den Krieg und lässt ihn auf Menschen treffen, die nur reden wollen, das Ziel haben: „wie alle bloß zwei Ohren finden, die zuhörten". Dieses Bedürfnis äußert sich auch in den Vertretern des reichen Bürgertums, an die sich der Gärtner erinnert. Sie vertrauen ihm in wenigen Momenten bruchstückhaft private Dinge an. Sie wollen besitzen, weil Besitz etwas bedeutet, das, was man besitzt, aber meist nur in seiner Funktion als Besitz bedeutend ist. Für den Gärtner hingegen zählt die Schönheit des Gartens, an dem er sich erfreuen kann, ohne ihn zu besitzen.

In der Geschichte des Hauses mit dem Garten über dem Meer hallt die Lebensgeschichte des Gärtners nach. Zu Beginn haben die Leser den Eindruck, mit dem Erzähler den Garten zu durchschreiten, während er ihnen von den Menschen berichtet, die ihre Sommer in dem Haus verbrachten, von seiner Liebe zu seiner verstorbenen Frau und dem Garten. Der Gärtner gestaltet die Erinnerungen an frühere Zeiten, die nicht notwendig bessere Zeiten waren, als wäre er ein Landschaftsmaler, der beobachtet und einfach nur Wahrnehmungen wiedergibt. Strukturierende Ereignisse sind die Jahreszeiten, das Kommen, Verweilen und Gehen, nichts aber von größerer Bedeutung, ganz zu schweigen von den politischen Verwerfungen, die die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts bestimmen. Es wird mal ein Tag, ein Monat genannt, nicht aber ein Jahr. Die Geschichte mag in den 1920er oder 1930er Jahren spielen. In den Villen am Meer hallt das Exil nach, der Verlust von Heimat wird in ihnen spürbar.

Das Personal des Romans teilt sich in zwei Gruppen, die Herrschaften des Hauses mitsamt ihren Freunden und das Dienstpersonal, Gärtner, Köchin, Zimmermädchen, Stallmeister. Doch die Differenzierung, die sozialen Grenzen folgt, erweist sich als durchlässig: die beiden Hauptfiguren sind das aus einfachen Verhältnissen kommende Paar, das zu Beginn der Erzählung bereits nicht mehr zusammen ist. Beide lieben einander weiterhin, beide heiraten reich, beide wohnen am Meer in Villen, unmittelbar nebeneinander.

Verwandtschaften

Der Garten über dem Meer behandelt einen Themenkomplex, der heutige Rezipienten ansprechen dürfte. Es gibt eine Reihe Verwandtschaften, besonders in Film und Fernsehen. Ihre Popularität als eigenes Sujet beginnt mit der englischen Serie "Das Haus am Eaton Place" (1971-1975), in der aus dem Leben der Familie Bellamy (Oben) und ihrer Bediensteten (Unten) in der Zeit zwischen 1903 und 1930 erzählt wird. Zu den weltweit erfolgreichsten Serien in der Fernsehgeschichte gehört "Downton Abbey", Julian Fellowes' Historie der Adelsfamilie Crawley, ihrer geliebten und ungeliebten Freunde, sowie ihrer Dienstboten im Guten wie im Schlechten. Auch hier gibt es dekadenten, im Zerfall befindlichen Adel, mindestens einen dubiosen Todesfall und die (beginnende) Durchlässigkeit sozialer Trennwände, den Verlust von Werten und die Aufweichung von Traditionen. Die vertikale Beziehung zwischen dem dekadenten Adel und den unter diesem lebenden Dienstboten, ein Mord auf einem englischen Landsitz in den 1930er Jahren, dies ist auch die Erzählwelt von Robert Altmans Gosford Park (2001), einem Sittengemälde mit dramatischen Unsauberkeiten in den Lebensentwürfen.

Mercè Rodoreda erzeugt in Der Garten über dem Meer eine soziale Versuchsanordnung in strenger formaler Durchführung, gepaart mit viel Fantasie, Traumlandschaften und der Konzentration auf das Innenleben ihrer Hauptfigur. Der Kontrast, oder Widerspruch, der sich ergibt aus dem Zusammenwirken von Mensch und Natur, ein wichtiger Themenkomplex in ihrem späteren Schaffen, bestimmt auch diesen in zugleich schlichter und malerischer Sprache gehaltenen Roman.

Der Garten über dem Meer

Mercè Rodoreda, Roof Music

Der Garten über dem Meer

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