Gräser der Nacht

  • Paris: Gallimard, 2012, Titel: 'L'herbes des nuits', Originalsprache
  • Hamburg: Hörbuch Hamburg, 2014, Seiten: 4, Übersetzt: Ulrich Matthes, Bemerkung: ungekürzte Lesung
Gräser der Nacht
Gräser der Nacht
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Sebastian Riemann
831001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2015

Zuneigung und Verschwiegenheit

Bestens übersetzt kommt der neue Roman des französischen Literaturnobelpreisträgers zum Deutschen Publikum und hält Rätselhaftes bereit, sowie Interessantes zu den Themen Erinnerung und Zwischenmenschlichkeit. Eine ruhig erzählte Geschichte über Zuneigung und die Machart von Erinnerungen, locker und unbeschwert, kritisch und zweifelnd zugleich. Mitunter schwer zu greifen ist die Handlung und ihr Erzähler, der sich mit dubiosen Menschen umgibt, ohne Zweifel zu hegen. Ein Buch, welches durch seine Geheimnisse lebt, den Leser ahnen und rätseln lässt. Dabei die Frage nach unserem aktiven Erinnern stellt, unserem Willen die Dinge zu verklären.

Der Erzähler ist eine recht mysteriöse Gestalt, die scheinbar ohne eigenen Antrieb durch Paris treibt, sich dabei von den Handlungen der Freunde und Bekannten mitreißen lässt, ohne sich jedoch ernsthaft auf etwas einzulassen. Er hat Verabredungen mit Dannie und Aghamouri, den beiden einzigen Personen, mit denen er verkehrt, sonst ist er zurückhaltend, geradezu menschenscheu. In verschiedenen Cafés, Restaurants und Bars trifft er sich mit einem der beiden Freunde, sie unterhalten sich ein wenig und hin und wieder gibt es etwas zu tun. In eine Wohnung einbrechen, auch wenn niemand das Wort einbrechen verwendet und der Erzähler nicht nachfragt, sich vielmehr damit begnügt seiner Freundin Dannie zur Hand zu gehen, wenn sie allerhand Kleinigkeiten aus der Wohnung, in welcher sie wohl früher wohnte, mitnimmt, bevor sich beide am Pförtner vorbei aus dem Gebäude schleichen. Die Neugier des Erzählers ist begrenzt, aus Freundschaft tut er, was man von ihm verlangt, dabei stellt er keine Fragen, die unangenehm sein könnten. Der Leser erhält dadurch einen gleichsam begrenzten Einblick in die Handlung, die sich doch in der Nähe des Erzählers abspielt. Vielen bleibt unverständlich, verdächtig. Erst später, als der französische Geheimdienst auf der Bildfläche erscheint und Fragen stellt zu den Freunden des Erzählers, erhellen sich einige Figuren und ihre Absichten.

Ein schwarzes Notizbuch begleitet den Erzähler bei seinen Streifzügen durch die französische Hauptstadt, es enthält die Anhaltspunkte, anhand derer er die vorliegende Geschichte erzählt. Straßennamen, Telefonnummern, Namen von Personen, lebend oder bereits verstorben, vereinzelte Aussprüche – vielfältig und unzusammenhängend sind die Notizen, die jedoch ausreichend sind, damit der Erzähler immer wieder den Faden aufnehmen kann. Er wartet in Cafés oder auf einer Bank am Ufer der Seine, zückt das kleine, schwarze Buch und notiert sich Details, die dem Leser unwichtig oder unzureichend erscheinen mögen, ihm aber ausreichen seine Erinnerungen zu nähren und miteinander zu verbinden. Hinweise auf die Geschehnisse hinter den Kulissen enthält das Büchlein nicht, da der Erzähler nicht ermittelnd auftritt und keinen seinen Freunde ausfragt. Erst später erscheint eine Mappe mit Informationen, die das aufdeckt, was hinter den Notizen des Erzählers lauerte. Die Akte der Geheimpolizei informiert über ein Verbrechen und Personen, die dem Leser bereits bekannt sind, deren mitunter merkwürdiges Verhalten jedoch rätselhaft wirkte. Die rationale, geschulte Vorgehensweise der Ermittler kontrastiert mit den persönlichen Notizen aus dem schwarzen Notizbuch, es werden zwei Geschichten erzählt, eine, die sich am Rande des lethargischen Dasein des Erzählers entwickelt und undurchsichtig bleibt, eine andere, die in den Büros der Geheimpolizei zusammengesetzt wird.

 

"Es ist besser, du gehst. Sonst kriege ich Schwierigkeiten mit Aghamouri."
Ich begleitete sie bis an die Tür ihres Zimmers. Sie hat die Einkaufstasche genommen. Mit leiser Stimme, so, als könnten die anderen uns hören, hat sie gesagt:
"Morgen, zu Mittag, im Chat blanc."
Das war ein etwas tristes Café in der Rue d´Odessa, mit einem Hinterraum, wo man unbemerkt blieb zwischen ein paar Billardspielern. Bretonen mit Matrosenmützen.

 

Patrick Modiano erhielt den Nobelpreis für Literatur im Jahr 2014. Erinnern, Vergessen, Identität und Schuld sind seine Themen, die ihn so wertvoll machen, begründete die Akademie ihre Wahl. Elisabeth Edl wurde für ihre Übersetzung des vorliegenden Buches für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015 nominiert.

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