Zeiden, im Januar

  • Wagenbach
  • Erschienen: Januar 2015
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  • Berlin: Wagenbach, 2015, Seiten: 256, Originalsprache
Zeiden, im Januar
Zeiden, im Januar
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Sebastian Riemann
801001

Belletristik-Couch Rezension vonApr 2015

Das Dilemma der Siebenbürgen

Siebenbürgen, auch bekannt als Transsylvanien, fand sich zu Beginn des Jahres 1941 in einer ungewöhnlichen Situation. Die dort ansässigen Sachsen bildeten eine Minderheit innerhalb des rumänischen Staates, fühlten sich aber Deutschland verbunden, welches aggressiv seine Vormachtstellung in Europa suchte. Die Frage nach Identität spitzte sich zu, da die Zeiten Krieg brachten und das Soldatentum an Bedeutung gewann. Für wen sollten die Siebenbürger Jünglinge in den Kampf ziehen, welcher Seite sollten die Gemeinden ihre Unterstützung geben? Offene Arme erwarteten sie weder hier noch dort, sie saßen zwischen den Stühlen. In Rumänien waren sie eine Randgruppe, die wenig Willen zeigte, sich anzupassen, aber vielerlei unternahm, um das eigene Kulturgut und die Vergangenheit zu bewahren. Ungern gingen die Sachsen Familienbande mit den Rumänen ein oder teilten die Arbeit mit ihnen. Man bliebt vielmehr unter seinesgleichen und pflegte das Misstrauen gegenüber den Rumänen. Folglich wurden die Sachsen ausgegrenzt, aus wichtigen Angelegenheiten herausgehalten und ihrem Eigendünkel überlassen. Da in Deutschland die Nationalsozialisten die Macht ergriffen, sahen die Siebenbürgen ihre Chance endlich an etwas teilzuhaben. Sie wollten nicht weiterhin eine kleine, zweitrangige Bevölkerungsgruppe bilden, die vernachlässigt oder gar vergessen wird, sondern endlich handeln und aktiv das eigene Recht auf Existenz bestreiten. Sie wollten sich der deutschen Sache anschließen, den gleichen Ideen folgen, in der gleichen Armee kämpfen und sterben. Doch in Deutschland waren die Siebenbürgen nicht geachtet, vielmehr betrachtete man sie als Rumänen, als Deutsche zweiter Klasse.

Die Frage nach der eigenen Identität und Zugehörigkeit wird kontrovers diskutiert. Die meisten Stimmen, die laut und stark zu hören sind, wollen sich Deutschland verpflichten, nur wenige kritische Stimmen sprechen sich für eine Annäherung mit den rumänischen Mitbürgern aus. Die begeisterungsfähigen Jungen und die Kriegstreiber wollen sich auf die Seite der scheinbaren Gewinner schlagen, wollen lieber in deutschen Regimentern missachtet werden als in rumänischen. Die Alten, die nicht zu den Waffen greifen werden, sie wollen die Geschichte ihrer Benachteiligung im rumänischen Staat beenden. Sie hoffen darauf, Teil der deutschen Gesellschaft zu werden.

Leontine scheint die einzige Person zu sein, die den Mut besitzt, sich offen für eine Aussöhnung mit den Mitbürgern auszusprechen. Sie benennt die selbstverschuldete Isolierung der Sachsen, anstatt nur auf die Rumänen und Ungarn zu schimpfen. Sie schaut kritisch auf die Vorhaben der Deutschen.

Der Antisemitismus der damaligen Zeit fand auch seinen Ausdruck in Rumänien. Kommissare zur Rumänisierung wurden eingesetzt, die jüdischen Mitbürger zu enteignen und zu vertreiben. An Universitäten will man sie nicht mehr zulassen. Die Ausgrenzung und Gewalt ihnen gegenüber wächst von Tag zu Tag, immer deutlicher wird ihnen gezeigt, dass sie eine unerwünschte Volksgruppe im Nationalstaat Rumänien sind. Ähnlich den Sachsen, die sich weigern im Nationalgedanken aufzugehen. Juden und Sachsen teilten sich das Schicksal der Randgruppen, stehen aufgrund der deutschen Bestrebungen und des europäischen Antisemitismus jedoch an einem Scheideweg – die einen wollen Sieger sein, die anderen müssen um ihr Leben fürchten. Auch in diesem Falle gibt es nur wenige Stimmen unter den Siebenbürgen, die eine Verbrüderung mit den Schwachen und Unterdrückten fordern. Das eigene Wohl wiegt den meisten mehr.

Das Buch hat keinen historischen Charakter, es wird nicht die Geschichte Siebenbürgens erzählt, sondern eine mehrfache Momentaufnahme gezeigt. Die Entwicklung der Sachsen in jener Region ist nicht das Thema, es werden nicht Ansiedlung und Verbreitung gezeigt, nicht Kultur und Alltag beleuchtet. Das Anliegen des Buches ist nicht geschichtlicher Natur, auch nicht ideologischer. Es wird der Nationalsozialismus in Deutschland am Rande erwähnt, meist steht er jedoch im Dunkel des Hintergrundes. Die Siebenbürgen sind nicht so sehr von der Weltsicht der Nazis fasziniert, sondern vielmehr in ihrer Identitätsfrage gefangen, die es ihnen erlaubt über die Verbrechen der Nazis hinwegzusehen und sich selbst als Opfer von Unterdrückung zu verstehen, die ein Anrecht auf Genugtuung haben, auf einen Platz in der Welt.

Große Teile des Buches befassen sich mit absolut unpolitischen Aspekten des Lebens in Siebenbürgen. Geschichten von junger Liebe, Armut und Familienleben werden erzählt; sie zeigen die Menschen in ihrer alltäglichen, unspektakulären Welt. Das verleiht dem Buch viel Charme, da jene Begebenheiten mit viel Geschick und Hingabe beschrieben wurden, das merkt man ihnen an.

Die Hauptfigur Leontine ist eine gutmütige, nicht immer ruhige Rebellin. Sie lebt seit einigen Jahren in Zeiden und hat viele ihrer Mitbürger verwirrt, viele auch verärgert durch ihre unkonventionelle Art und ihre Offenheit bei politischen Themen. Sie ist das Gewissen der Gemeinde, welche ihre Identitätsfrage beantworten will. Sie stellt die einfachen, naheliegenden Lösungen in Frage, mahnt zur Eigenkritik und zum Geschichtsbewusstsein.

Dem Buch gelingt es ausgezeichnet die Stimmung einzufangen, der Leser kann die Spannung spüren, die zwischen den Menschen herrscht, kann ihre Überlegungen und Zweifel verstehen. Allerdings wird wenig ausgeholt, der Kontext wenig beleuchtet. Alles ist so authentisch und lebendig, dass man die historische Dimension manchmal doch vermisst und sich mitunter mehr Entwicklung im Roman herbeisehnt. Die Problematik der Siebenbürgen wird sehr ausführlich und häufig dargestellt, so häufig, dass der Leser wenig Neues erfährt, sondern vielmehr im bereits gezeichneten Bild bestätigt wird. Es wird viel auf der Stelle getreten. Die Stimmung wird eingefangen wieder und wieder. Die Rebellin Leontine hat eine einfache Rolle, zu einfach, um letztlich überzeugen zu können.

Der Roman bietet einen ganz besonderen Einblick in eine wenig bekannte Gegend zu einer turbulenten Zeit. Er tut dies mittels sprachlicher Exzellenz und viel Gefühl. Jedoch gefällt er sich zu sehr im einfühlsamen Erzählen von Geschichten und verschließt sich den menschlichen Katastrophen, die immer nur indirekt oder am Rande Erwähnung finden, obwohl sie für den Roman keine Gefahr dargestellt hätten.

Zeiden, im Januar

Ursula Ackrill, Wagenbach

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