Regentonnenvariationen

  • Hanser
  • Erschienen: Januar 2015
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  • Berlin: Hanser, 2015, Seiten: 112, Originalsprache
Regentonnenvariationen
Regentonnenvariationen
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Claire Schmartz
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Belletristik-Couch Rezension vonApr 2015

Der erste Lyriker, den Leipzig ehrte

Jan Wagners Gedichtband Regentonnenvariationen steht momentan im Fokus der Diskussionen um Lyrik und die Wirkungsmacht von Poesie. Jan Wagner wurde 1971 in Hamburg geboren und hat Anglistik in Hamburg, Dublin und Berlin studiert. Seitdem arbeitet er als Essayist und Übersetzer. 2001 erschien sein Debüt, der Gedichtband Probebohrung im Himmel. Jan Wagner wurde mit zahlreichen Preisen wie dem Hölderlin-Preis der Stadt Tübingen oder dem Kranichsteiner Literaturpreis ausgezeichnet.

Mit Regentonnenvariationen hat Jan Wagner den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen – als erster Lyriker. "Ein Gedichtband, in dem die Regentonne zur Wundertüte wird, der Giersch zur Gischt, Unkraut und unreiner Reim ihren Charme entfalten und die Lust am Spiel mit der Sprache vor den strengen Formen nicht Halt macht: Lyrik voller Geistesgegenwart.", urteilt die Jury. Tatsächlich ist das gleichnamige Gedicht ein Kunstwerk aus detaillierten Beobachten, die knapp und konkret zusammengefasst werden und lautmalerisch ein Gefühl vermitteln; ein Gefühl über die Betrachtung... einer Regentonne.

 

"bleib, sprach das dunkel,
und dein gesicht löst sich auf
wie ein stück zucker."

 

Während dieses Gedicht wie ein Destillat aus Empfindungen und Beobachtungen, verdichteten Gefühlen und Regungen erscheint, sind andere Gedichte weitaus expliziter und erscheinen wie Prosa in anderer Form. Dabei sind Sprache und Wortwahl erstaunlich präzise. Jan Wagner nutzt klassische Gedichtformen, füllt diese mit anderen Inhalten als der Tradition nach zu erwarten wäre. Der neue Inhalt ermöglicht es Wagners "Variationen" noch stärker zu wirken und Inhalt und Form auseinander zu brechen, obwohl sie lautlich nahtlos ineinander übergehen.

Wagner widmet sich alltäglichen Beobachtungen, Erlebnissen wie einer Schifffahrt oder einem Stück Seife, zeigt sein ganzes wortgewaltiges Können im Wortspiel um Giersch und Gischt, Giersch

 

"als schäumen, als gischt, der ohne ein geräusch
geschieht, bis hoch zum giebel kriecht, bis giersch
schier überall sprießt"

 

Auch hier nutzt Wagner die klassische Form eines Sonetts, verstärkt den Inhalt aber so weit, dass der Giersch, ein Unkraut, die Zeilen und Verse überwuchert und lautlich Oberhand gewinnt. Jan Wagner stellt die Natur in den Mittelpunkt seiner Gedichte; der Mensch bleibt als Echo und Beobachter im Hintergrund – so wie angesichts der Torfwanderung, die den Erzähler in Tränen auf die Knie zwingt, da er es nicht schafft, die Wanderung "für Anfänger" zu bewältigen. Natur und Tiere sind unzähmbar, vielleicht deswegen auch nur mit Sprache beschreibbar, aber schwer zu fassen.

Das Versprechen des Hanser Verlages und Klappentextes, dass sich das Gefühl einstelle, "für einen Augenblick zum Wesen der Dinge vorgedrungen zu sein", erfüllen die Gedichte jedoch nicht. Wagner ruft längst Vergessenes oder nur knapp Beachtetes, Gesehenes auf und schildert es in seinen Gedichten mit einer solchen Präzision, dass wortwörtlich konkrete Poesie hier eine neue Bedeutung erlangen könnte. Minutiös widmet er sich Details, doch die Übertragung dieser Momentaufnahmen auf allgemeinere oder auch nur intensive Empfindungen des Seins im Augenblick (wie im Frühwerk Handkes) stellen sich nicht ein. Die Gedichte bringen Beobachtungen nahe, erlauben aber kein Schwelgen in Leerstellen, kein absolutes Empfinden des Seins, keine lebensbejahende Wahrheitserfahrung des Momentes. Dennoch sind Wagners Gedichte künstlerisch spannend – man stößt sich am Inhalt, ist überrascht von der Form. Sie sind ungewohnt und eckig, aber ausgeklügelt und durchdacht. Seine Gedichte passen nicht, man stößt sich an ihnen, und vielleicht sind sie deswegen gut.

Regentonnenvariationen

Jan Wagner, Hanser

Regentonnenvariationen

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