Das siebte Kreuz
- El Libro Libre
- Erschienen: Januar 1942
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- Berlin: Aufbau, 2015, Seiten: 448, Originalsprache, Bemerkung: Mit einem Nachwort von Thomas von Steinaecker
- Mexiko: El Libro Libre, 1942, Originalsprache
Hoffnung in finsteren Zeiten
Menschen in einem gleichgeschalteten Staat dürfen nicht anders denken, sie dürfen keine Geheimnisse haben und müssen immer sichtbar sein für die Autoritäten. Überwachung und Gewalt sind die Mittel des Staates, der eine uniforme Bevölkerung beherrschen will und keine Alternativen duldet. Diejenigen, die dagegen aufbegehren, sind Verräter und Helden, sie greifen das Wohl des Staates und der Gemeinschaft an, sie wollen einen Raum für Freiheit und Individualität erobern. Der Klassiker von Anna Seghers zeigt den Kampf eines Einzelnen auf, gegen das System des NS-Staates und gegen die Ohnmacht. Ein kämpferisches Zeitzeugnis mit viel Einsicht in die Ängste und Schwächen der Verfolgten und der Unbescholtenen.
Die Nationalsozialisten formten das Land und seine Bevölkerung nach ihren Vorstellungen. Wer sich nicht anpassen wollte und anderen Ideologien anhing, wurde gnadenlos verfolgt, interniert, gefoltert und musste meistens mit dem Leben zahlen. Politisch anders Denkende wurden mit Gewalt aus dem öffentlichen Raum gedrängt, auf dass alle gleich seien. Unter den Verdrängten befanden sich Aktivisten und Idealisten, aber auch einfache Leute, die politisch wenig engagiert waren, der Freiheit aber stark verbunden. Einer von ihnen ist Georg Heisler, ein gewöhnlicher Mann mit ungewöhnlich starkem Willen, der sich nicht beugen will und für sein Dasein kämpft und leidet. Er wagt den Ausbruch aus einem Straflager und fordert die Idee heraus, dass der NS-Staat und seine Schergen allmächtig und allwissend sind, er wagt das Aussichtslose, den Kampf David gegen Goliath.
Sieben Insassen brechen aus, Georg ist nicht der Erfahrenste, auch nicht der Agilste, aber am Ende ist er der einzig Erfolgreiche. Das ganze Unternehmen ist zum Scheitern verurteilt, dass wissen die Fliehenden, so wie es die Verfolger wissen, und auch Georg verlässt des Öfteren der Mut weiter zu kämpfen und zu fliehen. Knapp entgeht er der Festnahme, ihn beschützt manchmal nur der dichte Nebel, der über der Landschaft liegt und die Überwachungsambitionen der brutalen Ordnungshüter verhindert. Er muss sich verstecken, nicht nur vor den Polizisten, den SA- und SS-Männern, sondern auch vor seinen Mitbürgern, die über Radio und Zeitung von den Flüchtlingen erfahren haben. Sie sind willige Helfer des Unrechtsstaates oder verängstigte Mitläufer, die das eigene Wohl schützen wollen, sowie die Angehörigen. Misstrauen herrscht zwischen den Menschen, da jeder in den Mühlen des Terrors zermahlen werden kann, wenn er einmal mit Verdächtigen in Verbindung gebracht wird. Die Verfolgung erfolgt ohne Menschlichkeit, ohne Gnade, und jeder will von den Gesuchten so weit wie möglich entfernt sein.
Die Autorin zeigt mit ihrem Flüchtling Heisler, wie der NS-Staat die Zwischenmenschlichkeit verstörte, Vertrauen zwischen Eheleuten und engen Freunden zunichte machte. Heisler ist auf seiner Flucht auf Hilfe angewiesen, spontane und organisierte Hilfe. In wenigen Tagen werden mehrere Personen in Heislers Flucht verwickelt und müssen sich entscheiden, wem sie helfen wollen. Diejenigen, die ihn nicht kennen und ihn nur zufällig treffen, kooperieren allzu selbstverständlich mit dem Team der Verfolger. Für einen Fremden wollen sie nicht ihr eigenes Wohl riskieren, indem sie den Behörden hinderlich sind. Sie stellen Informationen bereit, um nicht selbst verdächtig zu werden oder um bei der Festsetzung eines Flüchtigen zu helfen, den sie selbst für eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung halten. Die Freunde Heislers wollen helfen, sehen sich aber einem großen Machtapparat gegenüber, der ohne Rücksicht ihre Existenz vernichten kann. Sie müssen sich durchringen, die Angst beiseite schieben, um das Richtige zu tun. Letztlich wissen sie, dass sie keine andere Wahl haben, als diesem hoffnungslosen Mann zu helfen. Doch erschwert das allgemeine Misstrauen die Zusammenarbeit, da jeder sich fragen muss, ob die alten Freunde noch immer bereit sind, die versteckten Ideale zu verwirklichen und einem Systemgegner die Flucht zu ermöglichen. Menschen, die sich nahe sind, werden sich verdächtig, reden in Rätseln und geben dem Schweigen den Vorzug, da die Überwachung des Staates in die Tiefen ihrer Gedanken vorgedrungen ist.
Anna Seghers musste selbst vor den Nazis fliehen, die ihre Literatur diskreditierten und verboten. Sie gehörte zu einer Gruppe deutscher Schriftsteller, die ins Exil gingen und dort ihre Arbeit fortsetzten. Seghers stand dem Heinrich-Heine Klub in Mexiko vor, zu dem auch Autoren wie Egon Erwin Kisch zählten. Das siebte Kreuz erschien zuerst 1942 im Verlag "El Libro Libre" in Mexiko und erst später in Deutschland. Das Buch war und ist ein leuchtendes Beispiel der Widerstandsliteratur, die das Regime Hitler-Deutschlands herausforderte. Seghers wurde für ihr umfangreiches Lebenswerk mit vielen Preisen geehrt, sie war 26 Jahre lang Präsidentin des DDR-Schriftstellerverbandes, der Anna-Seghers-Literaturpreis ist heute einer der wichtigsten im Land.
Die Autorin stellt den Leser dicht neben den Protagonisten Georg Heisler, lässt ihn miterleben, was diesem widerstandsfähigen Mann geschieht, seine Ängste und Hoffnungen, seine Schmerzen und Freuden. Eine Nähe entsteht, die Fluchterlebnis und literarischer Genuss zugleich ist. Mit viel Spannung verfolgt man den Weg durch die neblige Landschaft, durch die Häuser der Stadt, die sich dem Flüchtigen öffnen. Man spürt die Angst Heislers und der Leute um ihn, die vorsichtig sein müssen und nur schwerlich ihre Unruhe verbergen können.
Das siebte Kreuz ist ein Klassiker, der den Aufstand gegen Unterdrückung feiert, und wurde nun vom Aufbau Verlag Berlin neu herausgegeben. Das Besondere dieser Edition ist ein Begleitbuch, eine Graphic Novel, welche die Illustrationen William Sharps enthält, der sich mit seinen Zeichnungen schon früh gegen die Nationalsozialisten wandte. Diese graphische Ergänzung bereichert das Leseerlebnis, bekräftigt den Eindruck, den dieses grandiose Werk ohnehin bei seinen Lesern hinterlässt.
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