Dem Tod die Entscheidungsgewalt entreißen
Eine Altherren-Wohngemeinschaft aus fünf guten Freunden will sich alles so einrichten und zurechtlegen, wie es ihnen gefällt, um einen angenehmen und selbstbestimmten Lebensabend zu verbringen, denn anders haben sie es nicht verdient diese erfolgreichen Herren. Sie sind ganz unterschiedliche Typen, die zusammen aufwuchsen, damals im Dorf noch zu sechst, dann war es einer weniger und die fünf blieben beste Freunde bis ins hohe Alter. Zwischendurch machte ein jeder Karriere in seinem Feld, der eine mehr, der andere weniger, aber allesamt waren sie ausreichend erfolgreich, um ohne Trübsinn auf ihr zurückliegendes Leben zu schauen. Sie wollen die süßen Früchte des Alters ernten, sich lösen von allen Vorgaben, dem Druck, den Erwartungen, die ihr Leben bestimmten. Ähnlich wie Kinder wollen sie machen wonach ihnen der Sinn steht, nicht aber das, was von ihnen erwartet wird. Lange Zeit waren sie erwachsen und haben sich an die Regeln gehalten, im hohen Alter aber wollen sie sich ein wenig gehen lassen.
Geld haben sie ausreichend und so wird ein schönes Anwesen am See gekauft, samt Garage für den Porsche. Das passt zu dieser Gruppe eitler Männer ohne Reue, die weiterhin ihren Spaß suchen. Einer ist starker Raucher und ,da er nicht auf Ärzte oder Freunde hören will, verliert bald ein Bein. Es ist der Sieg des eigenen Willen über die allgemeine Vernunft und die Vorstellungen vom guten Leben. Lieber seinen Lastern frönen und glücklich sterben, weil man zufrieden mit sich selbst den eigenen Weg ging, anstatt sich zu verbiegen. Keine ungewöhnliche Haltung, nur ein wenig romantisch, denn am Ende tut sich das Sterben doch schwer. Dem Raucher geht es schlechter mit der Zeit, er muss in den Rollstuhl, es folgen Krankenhausbesuche und der Lebenswille sinkt zunehmend. Der schön gedachte Lebensabend will sich in einen komatösen Albtraum verwandeln, doch da greift der wahre Plan der alten Herren. Sich gemeinsam amüsieren, während draußen die Welt ihre Runden dreht, war nur ein Teil des Vorhabens, ein zweiter gemeinsamer Wille bestand darin, nicht schmerzhaft und willenlos dem Tod in die Hände zu fallen, sondern sich gegenseitig beim Sterben helfen, sobald das Leben nicht mehr lebenswert ist.
Der Programmierer der Gruppe schreibt ein Programm zur Regelung der gegenseitigen Sterbehilfe. Jeder legt fest, wen er am liebsten als Vollstrecker haben möchte, dann noch die zweite und dritte und auch vierte Wahl. Sobald der Todeswunsch – über ein einfaches, aber auch verstörendes System – geäußert wurde, geht es zur Sache und der Leidende wird erlöst. Der Dorfarzt ist eingeweiht, er stellt den Todesschein aus, sorgt dafür, dass kein Aufsehen erregt wird. Denn Sterbehilfe ist nicht legal, wie der unkundige Leser in einer Passage erfährt.
Das Thema ist aktuell, wird regelmäßig in der Gesellschaft diskutiert, und Christoph Poschenrieder bringt einem die Argumente auf unterhaltsame Art näher. Es ist eine gekonnte Verbindung von thematischer Diskussion und humorvollem Erzählen, die Schwierigkeiten und Feinheiten bei der Sterbehilfe beleuchtet und auch die Frage nach dem lebenswerten Leben stellt. Der Autor platziert den Gesetzestext in der Mitte des Buches und lässt durch die alten Männer Alternativen aufzeigen, ohne die Schattenseite der schönen Idee vom selbstbestimmten Ende zu verbergen.
Die Alten wollen dem Tod die Entscheidungsgewalt entreißen und haben doch ein wenig Angst, da sie mit den voranschreitenden Jahren seniler werden und sich nicht wohl fühlen, einem Freund den letzten Wunsch zu erfüllen. Selbstbestimmt wollen sie sein, aber ihre Hände zittern. Besonders dem Erzähler, der schon damals bei Martin eine tragische Rolle spielte. Martin, der damals der sechste Freund war und dann der Freund blieb, jedoch nur in der Erinnerung, da er als Junge im winterlichen See einbrach und ertrank, er hielt die Gruppe der fünf verbliebenen Freunde zusammen. Regelmäßig trafen sie sich, gedachten seiner, am Ende verlegten sie sogar sein Grab auf das eigene Grundstück. Er starb aufgrund eines unbedachten Ratschlags, aber Vorwürfe gab es nicht, so wie die Alten ohnehin nicht gerne wehmütig zurückblicken.
Der Mauersegler ist ein interessantes, da problematisierendes Buch mit gesellschaftlicher Relevanz. Als solches ist es durchaus ein Gewinn. Erzählerisch nicht das stärkste Buch von Poschenrieder, besonders an den Charakteren mag man sich stoßen, da sie meist schemenhaft erscheinen. Als Kinder waren sie alle gleich, als Männer ähnlich – erfolgreich, gönnerhaft, jeder auf seine Art in seinem Metier, aber darauf wird kaum eingegangen – , als Greise sind wieder alle gleich und vereint im Wunsch nach dem beherrschten Tod. Charakterliche Tiefe fehlt zumeist, man könnte ein philosophisches Theater vermuten, aber dafür ist die Geschichte dann doch zu unterhaltsam und lebensnah geschrieben, der Ton nicht ausreichend mit Bedeutung geschwängert. Die Komik gibt dem Buch letztlich die differenzierende Note, macht es leicht und sorgt für Sympathien. So ernst das Thema ist, so schwarz wird der Humor.
Christoph Poschenrieder, Diogenes
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