Lyrischer Schatz in anspruchsvoller Aufmachung
Der Geburtstag der österreichischen Lyrikerin Christine Lavant, der sich am 4. Juli 2015 zum einhundertsten Mal jährt, ist Anlass für den Wallstein-Verlag, eine vier Bände umfassende Werkausgabe Lavants vorzulegen, deren erster Band die zu Lebzeiten veröffentlichten Gedichte enthält. Herausgegeben wurde er von Doris Moser und Fabjan Hafner unter Mitarbeit von Brigitte Strasser, als Leseausgabe mit editorischem Kommentar sowie zwei Nachworten der Herausgeber zur Biografie, Poetik und Rezeption Lavants. Den Band beschließen Angaben zu Quellen und Literatur, ein alphabetisches Verzeichnis der Gedichttitel und –anfänge, ein ausführliches Inhaltsverzeichnis.
Enthalten sind die selbstständigen Lyrikbände Die unvollendete Liebe (1949), Die Bettlerschale (1956), Spindel im Mond (1959), Sonnenvogel (1960) und Der Pfauenschrei (1962), die Sammelbände Wirf ab den Lehm (1961) und Hälfte des Herzens (1967), schließlich weitere in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien veröffentlichte Gedichte.
Lavant ist zwar seit ungefähr zwanzig Jahren, seit dem Zugang zu ihrem Nachlass (im Robert-Musil-Institut Klagenfurt, im Brenner-Archiv Innsbruck) verstärkt Gegenstand der Literaturwissenschaften, wird aber in der Öffentlichkeit eher verhalten rezipiert.
Christine Lavant wurde als Christine Thonhauser in St. Stefan im Kärntner Lavanttal geboren. Als Frau war sie für die Mutterschaft vorgesehen, blieb jedoch kinderlos und wurde in ihrem Dorf isoliert. Als Baby erkrankte sie an Skrofulose, hatte Zeit ihres Lebens mit Lungenentzündungen zu kämpfen, brach wegen ihres allgemein schlechten Gesundheitszustandes die Hauptschule ab und arbeitete als Strickerin.
1932 bot sie ihren ersten Roman einem Grazer Verlag an, der ihn jedoch ablehnte. 1948 wurde ihre Erzählung Das Kind veröffentlicht, ein Jahr später folgten die Erzählung Das Krüglein und der erste Gedichtband Die unvollendete Liebe. 1950 ließ sie sich, bereits seit 1939 verheiratet mit dem Maler Josef Benedikt Habernig, auf eine Liebesbeziehung mit dem Maler Werner Berg ein, schrieb täglich 20-30 Gedichte.
Ihren zweiten Gedichtband Die Bettlerschale veröffentlichte sie 1956 und erhielt den staatlichen Förderpreis für Lyrik, der ihr 1961 ein weiteres Mal verliehen wurde. 1964 starb ihr Mann. 1970 erhielt sie den Großen Österreichischen Staatspreis für Literatur. Drei Jahre später starb sie im Wolfsberger Krankenhaus an einem Schlaganfall.
Die Belastungen, die das Leben, das soziale Umfeld, für einen Menschen bereithalten, körperliche und seelische Grenzerfahrungen, haben ihren Niederschlag im lyrischen Werk Lavants gefunden ("Meine Angst umkreist das Irrenhaus"), in dem auch die Beschäftigung mit Mystik und Katholizismus, Philosophie und besonders Rainer Maria Rilke und Georg Trakl ihren Ausdruck finden.
"Morgen lösch ich die Sonne aus,
morgen stoß ich den Wind in die Grube
und schütte den Regen ins Meer hinein,
denn ich will, daß du gern zu mir kommst."
Christine Lavant hat einen radikalen Wortschatz in Gedichte überführt, die sich überwiegend traditionellen kompositorischen Vorlagen (Versmaß, Reim) zuordnen lassen. Das Dorf, die Menschen, Tiere, die Natur, Gott, Körperteile, Gestirne bestimmen den Motivkomplex. Die Autorin verbindet oft Elemente des Himmelszeltes mit Begriffen ohne astralen Kontext (Mondkork, Mondeshof, Mondkreuz, Sonnenbaum, Sonnennetz, Sonnenhuhn), erdet sie auf diese Weise vielleicht. Die Gestirne sind immer isoliert, fügen sich nie zu einem Firmament.
Lavant kombiniert verschiedene formale Strukturelemente miteinander, bis hin zu eigenartigen zweiteiligen Komposita, (Hungerstern, Föhnvermächtnis, Doppelwisser, Trübsinnsstaude) und Alternativen zu syntaktischen Fügungen (katzensilbern, dotterbrüstig, feuerfürchtig), die für ihr Werk bezeichnend sind. Sie fügt eine gutteils selbst geschaffene katholische Ikonografie ihrer Bilderwelt hinzu, bestimmt auf diese Weise ihr Verhältnis zu Gott ("Am Morgen sollst du auf meine Zunge immer glühende Kohlen legen") als masochistisch und leidensausgerichtet, aber nicht zwingend leidend. Hoffnung und Trost im Glauben sind Kategorien, die über das Sein im Jetzt hinausweisen und illusorisch sind. Dem Ich bleibt nur die Wahrnehmung der Gegenwart, der Widerstand gegen Gott und sich selbst. Doch wer dieses Ich ist, ist uneindeutig. Sind die Gedichte ein Zwiegespräch zwischen Christine Thonhauser und Christine Lavant? Schickt die Dichterin sich selbst oder ihr lyrisches Ich durch die in den Gedichten sich offenbarende Welt?
Das Gehirn, die Augen und Ohren sind nicht allein Organe der Informationsaufnahme und –verarbeitung, wobei die Wahrnehmung oft als Schmerzen verursachende Aktivität beschrieben wird ("und hacken in mein Hirn hinein").
Christine Lavant vereint Wahrnehmungen und Empfindungen, kleidet bildmächtig strenge Verse und Reime formal einfacher Gedichte ein, die ihren besonderen Reiz aus einer seltsamen Verbindung aus Emotionen und Ekstase, Erotik und Sinnlichkeit, Schmerz und Aufbegehren ziehen.
Die ansprechende Publikation bietet eine Gelegenheit, sich mit dieser interessanten Dichterin zu befassen, der eine breitere öffentliche Wahrnehmung zu wünschen wäre.
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