Horizont der Ewigkeit
- Zauberberg
- Erschienen: Januar 2015
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- Karlsruhe: Zauberberg, 2015, Seiten: 260, Originalsprache
250 Seiten Soap ohne erkennbare Zielgruppe
Auf der Nordseeinsel Föhr lebt der junge Kent bei seinen Großeltern. Der Junge ist blind und steht alleine am Strand – Touristen gehen an ihm vorbei, bis sein Großvater in abholt und in an die Hand nimmt. Kents Frage, wieso er denn so alleine sei und wo seine Eltern seien, ist Anlass für eine dramatische Rückblende und erklärt dem Leser, was zuvor passiert ist. Howard, Kents Vater, ist ein rebellischer Jugendlicher in der Bundeswehr. Aus wohlorganisiertem Elternhaus verfällt er dem Whisky aus enttäuschter Liebe. Und dieses Trio (Alkohol, Militär, Liebe) ist der rote Faden, der sich durch sein Leben ziehen wird. Nachdem seine erste große Liebe quasi zwangsverheiratet wurde, bleibt Howard nur der Alkohol, und fremde Frauen. So lernt er auch May kennen, sein "Kätzchen", die er später heiraten wird und die ihn vorübergehend zu einem glücklichen und gesunden Menschen macht. Doch alles Glück ist in diesem Roman vergänglich. May stirbt bei der Geburt des gemeinsamen Sohnes und Howard verlässt, gebrochenen Herzens, die Insel, um bei der Fremdenlegion anzuheuern. Und Kent bleibt bei seinen Großeltern zurück, muss sich selber in die Gesellschaft integrieren, sich trotz seiner Blindheit orientieren. Kent wird bei seinen Großeltern aufwachsen, wo der Leser ihn kennen lernt – vom Kind bis zum jungen Erwachsenen. Er ist in diesem seelisch zerrütteten, in dieser zerfledderten Familie die besonnenste Figur, die ruhig, optimistisch und liebevoll ihren Mitmenschen begegnet, bleibt aber leider eher eine marginale Gestalt, die nur als Fliehpunkt für die Geschichte des immer flüchtenden und doch wiederkehrenden Howard dienen soll.
Auf der Insel scheinen noch die alten Gesetze zu gelten – glaubt man Böges Roman Horizont der Ewigkeit. Liebe besiegelt man durch Heirat und spätestens nach einem Jahr sollte auch ein (männlicher!) Stammhalter geboren werden, es gibt von den Eltern organisierte Ehen und brachiale Gewalt in der Fremdenlegion. Frauen sind dekorative Begleiterscheinungen der Erfüllung eines Mannes. Und Alkoholismus, Vandalismus und Brutalität ein notwendiges Ventil für kränkelnde Männlichkeit. Böges Roman ist eine Soap auf 250 Seiten: kitschig, intrigant, Erkenntnisse und Traumata lösen sich rasant ab. Dabei greift der Roman auf alle erdenklichen Stereotype zurück, ob es nun die Gestaltung der Charaktere ist, deren Merkmale und Gewohnheiten, oder auch die Gestaltung der gesamten Gesellschaft ist – abzulesen an der Darstellung der Bundeswehr oder auch dem komischen, alkoholgetränkten Konzept von "Kameradschaft". Auf jeden Fall strotzt die Erzählung von unerwartet dramatischen Momenten. Auch wenn viel passiert und der Leser ständig mit neuen, absurden Wendungen bestürmt wird, bleiben die Sprache und die eigentliche Geschichte eher schwach, plump.
Dabei wird nicht erkennbar, für wen dieser Roman eigentlich geschrieben wurde. Anfangs wirkt er wie ein abenteuerlicher Entwicklungsroman für Jugendliche, zugleich sind die Protagonisten Mitt-Zwanziger, also eigentlich junge Erwachsene. Sprache und Erzählduktus suggerieren, dass man dem Leser noch ziemlich viel erklären müsste, denn die Sprache pendelt zwischen merkwürdig ungelenken Vokabeln und komischen Wendungen. Nicht, dass die Schilderungen besonders explizit seien, sie doppeln auch oft alle vorhandenen Botschaften. Ausführlicher sind dann Alkohol- und Drogenmissbrauchsmomente, Sexszenen, die nicht ganz in das Schema eines Jugendromans passen wollen. Was wir gelernt haben: An der Nordsee sind die Menschen verdammt kaputt, wenn nicht seelisch, dann zumindest körperlich. Oder beides.
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