Die "Mutter auf Papier" ist eine, die nicht dazugehört. Das weiß sie schon, bevor festgestellt wird, dass sie unfruchtbar ist - eine Abnormität, die bei ihrem sozialen Umfeld Interesse erregt. Kommentare werden abgegeben, Ärzte eingeschaltet. Sie sammelt die Reaktionen mit zunehmender Verstörung. Als sie eine Fehlgeburt hat, nimmt das Umfeld schaulustig daran teil. Der Körper wird zum Instrument, der Alltag zum Spießrutenlauf, Freunde werden Feinde. Eine schrittweise Abwertung ihrer Person beginnt, der sie nichts entgegenzusetzen hat als Wut und Zerfleischung. Als sie um Auslandsadoption ansucht, dehnt sich das wertende Umfeld auf die Behörden aus. Sie wird zur Bittstellerin, zur Verdächtigen. Während jeder Beliebige sich sorglos fortpflanzen darf, muss sie sich ihre Papiere erst verdienen. Das afrikanische Kind kommt kurz nach dem Ansuchen, die Mutterschaft beginnt abrupt und mit ihr eine neue Konfrontation: "das Defizit" ist jetzt für alle sichtbar. Das Muttersein erlebt sie ohne Filter und im vollen Bewusstsein der Unterschiede zwischen ihr und Diemütter. Ihr Intellekt zwingt sie, alles ganz genau wahrzunehmen und zu hinterfragen. Das Dazugehören wird mehr und mehr zum Alptraum – das Anderssein zur Verheißung. Nur beschwerlich finden Mutter und Kind auf dem schmalen Weg zwischen den Klischees zueinander. "Mutter auf Papier" ist eine Sozialkritik aus einer exklusiven Perspektive: von der Unterseite der Familienidylle. Es ist ein Text über das Gegenteil einer Geburt. Der Text richtet sich an Leserinnen und Leser, die mit dem gängigen Konzept der Elternschaft ("Mutterbild") nicht zurechtkommen: an Frauen, die ungewollt kinderlos sind; an Adoptiveltern; an "Rabenmütter"; an Neugierige (und Voyeure), die sich für "andere Familien" interessieren.
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