stellt fest und ändet doch nichts
Aberland spielt im Kleinbürgertum Österreichs: Die 35-jährige Franziska und ihre 58-jährige Mutter Elisabeth sind die Protagonistinnen dieses Romans. Franziskas Gedanken rasen, es bleibt keine Zeit für Punkte, sie beklagt Ungerechtigkeiten bei der Kinderbetreuung, bei der Hausarbeit, bei der Arbeit, die Unmöglichkeit der Fertigstellung ihrer Doktorarbeit – sie fühlt sich unfrei, ihre mütterlichen Tätigkeiten und die Beschäftigung mit ihrem Sohn Manuel beanspruchen all ihre Zeit – und über Thomas' unverschämten Wunsch nach einem zweiten Kind, ein Gedanke der sie zu ersticken droht in Erwartungen und Verpflichtungen, die sie eigentlich nicht auf sich nehmen will. Franziska hadert mit den ihr von der Gesellschaft, aber auch von sich selbst auferlegten Pflichten, der allgemeinen Akzeptanz dieses Missstandes.
Elisabeth hingegen "versucht würdevoll zu altern" – das bedeutet, walken zu gehen, damit sie sich von hinten im Spiegel betrachten kann, noch gelegentlich mit ihrem Mann zu schlafen um zu zeigen, dass sie beiden es trotz ihres Alters noch wollen, den Garten zu pflegen, kulinarische Reisen zu machen oder zur Gesichtsmassage zu gehen. Sie führt ein gutbürgerliches Leben in der Leere der Verrichtungen im Haushalt, bis ihr Mann pensioniert wird und sich zu ihr gesellt. Die beiden fangen an, die Wohnung zu renovieren. Dann sagt Kurt, dass die Arbeiten zwar mindestens noch bis September dauern, "aber dann haben wir zwanzig Jahre Ruhe" – und in dem Satz schwingt Panik vor der Ruhe mit, Panik vor der Leere, der Inhaltslosigkeit des Alltages, die Klemm geschickt durch den Alltag der Protagonistinnen spinnt, bis man sich in dem Netz verheddert, noch bevor es fühlbar wird.
So ist die eigentliche Inhaltsleere des Romans der direkte Beweis für die dümpelnde Apathie der Protagonistinnen, das Ausgefüllt-Sein mit Erledigung und einer inneren Leere. So ist Franziska mit ihrem rasenden Zorn, der leicht in Panikanfälle umschlagen kann, unzufrieden, und Elisabeth versucht eben diese Unzufriedenheit durch die Portionierung der alltäglichen Leere zu verdrängen. Sie sind unzufrieden und können sich nicht befreien. Häppchenweise teilen Einladungen den Roman in Kapitel ein, unterteilen die Leere in Events, die Lebensabschnitte zelebrieren nachdem sie abgeschlossen sind.
Elizabeth hat ihr Leben erfolgreich gemeistert, indem sie Dinge nicht getan hat und sich ihrem Mann unterordnete und die Pflichten erledigte, die anfielen, ohne arbeiten zu gehen oder zu studieren, aber auch ohne ihren Mann mit dem Künstler Jakob betrogen zu haben, aber auch ohne im Grundbuch der Jugendstilvilla zu stehen. Da sind sie, die ABER, die jede Entscheidung für etwas als Entscheidung gegen etwas anderes sehen wollen. Denn was bedeutet es, dass dieser Roman Aberland heißt? Es ist eine Anklage der Gesellschaft, in der so viele ABER im Weg stehen und nicht UND, die ganzen Einwände und Einschränkungen die man sich selber zufügt, die Ziele die man sich setzt und die fesseln, wie hier: Familie, Kinder, Doktorarbeit, Haus, Garten, Arbeit,... und die alle zu Lasten der Frauen zu fallen scheinen. Diese Kette ist jedoch kein Ensemble, sondern ein Katalog, der zur Entscheidung zwingt, die zwangsweise auch Ausschluss ist.
Aberland erinnert an Jelineks die liebhaberinnen, ist ein Pamphlet aus der Sicht zweier Frauen. Sie sind unglücklich mit ihren hohlen Aufgaben und den ihnen hiermit angetragenen Titeln als "Hausfrau" oder "Ehefrau", diese werden ihrer Person nicht gerecht und zwingen sie in Rollen, die sie eigentlich nicht einnehmen wollten, aller Rede von Fortschritten in der Gleichberechtigung zum Trotz. Dass es gesellschaftlich festgelegte Rollen sind, ist das Problem, das ihnen immer mehr ungewollte Tätigkeiten zuschiebt, auch wenn der erste Schritt, das erste Zugeständnis von ihnen gemacht wurde, bringt diese Rolle noch so viel mit sich und schliesst wieder anderes aus. Die beiden Frauen können ihrem Gefühl der Beengung keine Stimme verleihen, und doch ist sie fühlbar.
Es ist ein wütender Text, doch sie wütet nicht, die Auflehnung der Betroffenen scheint bereits verglommen und den Leser hinterlässt diese enttäuschte und schmerzvolle Unterwerfung perplex. Bei Jelinek sind es die Frauen, die sich durch ihre Beziehung zu Männern erst bestätigen, bei Klemm verlieren sich die Frauen in ihrer dekorativen Rolle der Garantin des reibungslosen Ablaufes, der zeitaufwändigen Tätigkeiten als Mutter und Haushälterin, die dennoch ihrem Mensch-Sein nicht gerecht werden können, sie vielmehr als Hilfskraft und Körper – bitte auch im Alter gutaussehend und freundlich – sehen. Da bleibt kein Platz für die Doktorarbeit und auch die Trennung ist ein Anlass, den man sich erst mal finanziell durch den Kopf gehen und dann fallen lässt. Es ist diese stumme Frust, die Wut, die sich in Anfällen äußert weil sie nicht ausgesprochen wird, die auch den peitschenden Sprachduktus vorgibt, der so unerwartet kommt und wild über den Alltag hinweg peitscht und ihn verschlingt, weil darunter nur Langeweile, Panik und Unzufriedenheit lauern. Kommen Kinder ins Spiel, treten tradierte Geschlechterrollen auf, auch wenn das ein paar eigentlich nicht vorhatte. Das ist bekannt. Es ist also alles ganz "normal". Aber die Tragik liegt darin, dass die Frauen all dies auch zum Teil selbst auferlegt haben und dies der Grund ist, dass niemand diese Rolle hinterfragen wird. Aber das wissen sie auch. Aberland ist deswegen vor allem ein feststellendes Buch, das Feministinnen nicht überraschen kann, aber kein Buch, das etwas ändern wird.
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