Der Fremde im Palazzo d´Oro
- Hoffmann und Campe
- Erschienen: Januar 2015
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- Hamburg: Hoffmann und Campe, 2015, Seiten: 176, Übersetzt: Gregor Hens
- New York: Houghton Mifflin Company, 2014, Titel: 'The Stranger at the Palazzo d´Oro', Originalsprache
Drama auf engstem Raum mit schönem Ausblick
Ein alter Mann reist zu seinem 60. Geburtstag an einen Ort, der nicht nur wunderschön, sondern auch von geradezu mystischer Bedeutung für ihn ist, da er dort einst ein bizarres Leben lebte für kurze Zeit. Taormina liegt in Sizilien, verfügt über eine idyllische Bucht, Berge, Altstadt und eine atemberaubende Aussicht auf den Vulkan Ätna. Es ist ein beliebter Touristenort, an dem schon D.H. Lawrence weilte und Texte verfasste. Wer es sich leisten kann, verbringt seine Urlaubstage im Palazzo d´Oro, einem edlen und teuren Hotel, abseits der Touristenmassen. Es ist eine anspruchsvolle Adresse für wenige Gäste. Der alte Mann lernte es vor gut vierzig Jahren kennen, als er ein junger, mittelloser Student war und sein Leben eine unerwartete Wendung nahm.
Damals stieg er in einem der billigen Hotels im Stadtzentrum ab und plante bald weiterzureisen. Taormina lockte ihn an aufgrund seiner Schönheit, er hoffte dort zeichnen zu können. Er war ein Kunststudent mit Ambitionen, wollte jemand werden in dieser Welt, die vor ihm lag wie ein Buffet, das seine feingliedrigen, gierigen Hände erwartete. Eines heißen Nachmittags fand er sich auf der Terrasse des Palazzo d´Oro ein, bestellte einen Kaffee – mehr konnte er sich nicht leisten – und begann zu zeichnen. Ein paar Tische weiter saßen eine Frau und ein Mann, beide sehr gut gekleidet, scheinbar wohlhabend. Der junge Kunststudent zeichnete nicht, weil er die schöne Aussicht auf Papier bannen wollte, sondern um die Aufmerksamkeit dieser beiden Personen auf sich zu ziehen. Er wollte beeindrucken und als interessanter Künstler wahrgenommen werden. Und seine Rechnung ging auf. Der Mann vom anderen Tisch lud ihn ein, sich zur Unterhaltung zu ihnen zu gesellen. Glücklich über das Angebot nutzte der junge Kunststudent das Angebot, nahm als Künstler und Gesprächspartner am anderen Tisch Platz, um sich dort mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln noch interessanter zu machen. Mit klugen Augen untersuchte er seine Gegenüber, stellte Vermutungen über ihren Hintergrund an und die Beziehung zwischen ihnen. Die Frau faszinierte, der Mann langweilte ihn. Das Machtverhältnis war offensichtlich, sie gab Anweisungen, er führte sie aus.
Das erste Kapitel endet mit der Einladung des Arztes – der Mann neben der Frau – an den angehenden Maler. Ein Zimmer wird für mehrere Tage bezahlt, man möchte sich die Gesellschaft des jungen Amerikaners erhalten. Das Geld kommt von der deutschen Gräfin – der schwer greifbaren, geradezu mystischen Frau am Tisch – und zu ihrer Unterhaltung soll der neue Gast beitragen. Das Szenario ist bizarr, im Mittelpunkt die Gräfin, elegant, erotisch und teuer gekleidet. Die Männer sind für sie da, fungieren als Mittel zur Freude und Vertreibung der Langeweile.
Paul Theroux ist ein wunderbarer kurzer Roman über menschliche Beziehungen gelungen, der viel Finesse und Stil hat. Die auftretenden Charaktere sind mehr als überschaubar, meist sind es nur der junge Maler und die reifere Gräfin. Die Handlung ist minimalistisch: Ein ehrgeiziger Mann begehrt eine reiche Frau, eine Liebesgeschichte entwickelt sich, in ihr finden Macht, Verzweiflung, Erotik und Mystik zu einer gemeinsamen Form, die den Leser begeistern und erschrecken kann. Dazwischen schieben sich Beschreibungen der Schönheit des Ortes und des Luxus´ im Palazzo d´Oro, der seinem Namen alle Ehre macht.
"Die folgenden drei Tage verliefen haargenau gleich – ich erledigte die gleichen Einkäufe, ich wartete und wurde missachtet. Und obwohl sie mir die gleichen Blicke auf ihren Körper gewährte, war ich überzeugt, dass sie nicht mit mir flirtete. Es war ihr einfach egal, wie ich sie sah. Diese Sprödigkeit erregte mich noch mehr, denn sie machte mich zum Voyeur, ich war es, der sich schämte."
So spärlich die Elemente dieses Buches, so gut sind sie miteinander verarbeitet. Theroux zeigt sich – nicht zum ersten und hoffentlich nicht zum letzten Mal – als Meister der Psychologie und des sozialen Dramas im realistisch kleinen Format.
Theroux ist einer der erfolgreichsten englischsprachigen Schriftsteller, wird oft als Reiseschriftsteller verschrien, obwohl seine Werke viel Tiefe zeigen und nicht an der Oberfläche der schönen und exotischen Szenarien hängen bleiben. Ein weiteres Beispiel seiner Kunst ist der Roman The Mosquito Coast, der 1981 veröffentlicht und 1986 erfolgreich verfilmt wurde. In der Hauptrolle spielte Harrison Ford und verlieh dem literarischen Können Theroux´ würdigen Ausdruck auf der Leinwand, indem er den Dschungel und die eigene Familie seinem Willen unterwarf.
Paul Theroux, Hoffmann und Campe
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