Krähengekrächz
- S. Fischer
- Erschienen: Januar 2016
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- Frankfurt am Main: S. Fischer, 2016, Seiten: 64, Originalsprache
Frau mit Hund und Krähen
Es gibt so endlose wie nutzlose Diskussionen über die Schädlichkeit und die Nützlichkeit von Krähenvögeln, darüber, ob sie gesellschaftlich oder bezogen auf die Landwirtschaft allein einen positiven Wert haben, wie viele als Schädlinge definierte Tiere sie fressen, die auf Getreidefeldern, Rasenflächen und Bäumen plündernd umherziehen. Es wurden Statistiken erstellt, zu welchen Tageszeiten Rabenvögel Sommer- und Wintergetreidefelder pickend oder grabend heimsuchen. Aus anderen Untersuchungen weiß man, dass Krähenvögel gerne Walnüsse essen.
Die Schriftstellerin Monika Maron macht sich diese Vorliebe der Vögel zunutze. Sie hat einmal gesagt, sie könne die Welt manchmal besser verstehen, wenn sie sie durch Tiere sehe. Darin ähnelt die Kunsthistorikerin Maron vielleicht Leonora Carrington, der Schriftstellerin und Malerin des Surrealismus, in deren Werk Menschen mit Tieren sprechen, sich in anderer Weise mit ihnen einlassen und sich gelegentlich in Tiere verwandeln.
In Marons Werk finden sich Tiere seit dem Debüt Flugasche, in dem die Hauptfigur Josefa Nadler sich einmal als fliegenden Tintenfisch sieht. In Animal triste wird die Ich-Erzählerin am Ende zur braunhaarigen Äffin. Tiere sind bei Maron Elemente eines romantischen Motivfeldes, was die Schriftstellerin zumindest in die Nähe von Carrington rückt.
Nun hat Monika Maron ein kurzes Buch über Krähen geschrieben, entstanden aus der Idee, die Vögel in einem Roman auftreten zu lassen. Sie beginnt damit, sie auf ihrem Balkon zu füttern und zu beobachten. Bald darauf erweitert sie den Interaktionsradius auf einen Teil des Wohnzimmers (wenig erfolgreich) und die nahe gelegene Umgebung in ihrem Wohnort Berlin. Während Spaziergängen mit ihrem Hund Momo versucht sie sich mit Krähen im Park vertraut zu machen, sehr zur – freundlich ausgedrückt – Verwunderung von Passanten.
Krähengekrächz ist kein Sachbuch über Krähen, sondern eine Verbindung aus Erzählung und Essay. Maron liest Literatur über Krähen, ihre Bedeutung in der Kulturgeschichte. Krähen als Motiv in Philip Roths Der menschliche Makel interessieren sie ebenso wie das Auftreten von Rabenvögeln in Gedichten, so von Edgar Allan Poe, Heinrich Heine, Gottfried Benn. Mit zwei Gedichten, "Die Krähen" von Annette von Droste-Hülshoff und Theodor Fontanes "Die zwei Raben", setzt sie sich intensiver auseinander. Krähen erleben den Menschen jeweils in Kriegen und all seiner Grausamkeit den Mitmenschen gegenüber.
In der nordischen Mythologie sind Krähen weise Vögel und positiv besetzt. Als sie jedoch über den von Menschen verursachten Leichenfeldern und –bergen zu ständigen Begleitern wurden, sah man in ihnen Todesvögel.
Im Kleinen enthält das Buch einige schöne Gedanken. Ging es Maron in Zwischenspiel auch um die Vorstellung vom Menschen als Summe oder Abfolge seiner Ichs, die sich im Laufe des Lebens bilden und über multiple Persönlichkeiten, die Ausdruck der Tatsache sind, dass sich ein Mensch nicht von seinen früheren Ichs trennen kann, auch über zwanghafte Ich-Bewahrung, so wird dies in Krähengekrächz auf die Menschheit verallgemeinert: zu im Laufe der Menschheitsentwicklung sich herausbildenden Merkmalen, die jeweils schlimmere Form annehmen, statt sich in fortlaufender Rückbildung langsam zu verabschieden. Hass und Gewalt sind dem Menschen durch seine Entwicklung so zum charakteristischen Merkmal geworden, dass die Krähenvögel ihn damit identifizieren. Maron mutmaßt, dass Krähen den Menschen nicht vertrauen können, auch wenn sie auf gewisse Weise Zutrauen zu Individuen entwickeln können. Die Möglichkeit einer Falle, eines Hinterhaltes wird von ihnen immer ins Krähenkalkül genommen. Weshalb nur wenige Krähen in ihr Wohnzimmer gekommen sind.
In einer Szene sitzt Monika Maron mit Momo im Park, in geringer Entfernung ist eine Gruppe Männer und Frauen mit sich und Alkohol beschäftigt. Als einer der Männer pinkeln muss, geht er ein Stück von der Gruppe weg, kehrt ihr den Rücken zu und entleert sich in aller Offenheit für Maron sichtbar.
Krähengekrächz handelt auch von der abnehmenden Wahrnehmung durch den Anderen. Monika Marons Einsichten in die Krähen und ihr Sozialleben bewirken, dass sie wachsende Achtung vor diesen Tieren entwickelt, die dem Menschen eher suspekt sind, weshalb er ihnen, dafür liefert sie Beispiele aus ihrer Stadt Berlin, oft genug feindselig gegenübertritt, bis hin zur – häufigen - Tötung von Krähen.
In Animal triste wie auch in Endmoränen erzeugt die Schriftstellerin einen Zusammenhang zwischen der animalischen Natur des Menschen, der Liebe, dem Alter und der Sterblichkeit. Gedanken zu diesem Themenfeld bestimmen auch Krähengekrächz, einen selbstreflexiven Text über die Künstlerin Monika Maron, der von Krähen handelt und von Menschen, betrachtet über den Umweg durch das Tier.
Ein zehn Seiten umfangreiches Nachwort der Literaturwissenschaftlerin Elke Gilson, die zum Werk Marons gearbeitet hat, beschließt den schmalen Band, den man auch als einen Beitrag zur Poetologie der Schriftstellerin lesen kann.
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