Über uns der Himmel, unter uns das Meer

  • Argon
  • Erschienen: Januar 2016
  • 2
  • London: Hodder and Stoughton Ltd., 2008, Titel: 'The Ship of Brides', Originalsprache
  • Berlin: Argon, 2016, Übersetzt: Luise Helm, Bemerkung: gekürzte Ausgabe
Über uns der Himmel, unter uns das Meer
Über uns der Himmel, unter uns das Meer
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Rita Dell'Agnese
851001

Belletristik-Couch Rezension vonJan 2016

Gewagter Themenwechsel

Die Autorin Jojo Moyes hat sich mit ihrem Roman Ein ganzes halbes Jahr in die Beststeller-Listen verschiedenster Sprachregionen katapultiert. Seither sind etliche Romane von ihr erschienen, stets ungeduldig erwartet von einer wachsenden Fangemeinde. Es mag dem Verlag das Risiko wert gewesen zu sein, nun mit der Übersetzung eines früheren Werks der Autorin aufzuwarten, das in seiner Anlage völlig in eine andere Richtung geht, als die jüngst erschienen Moyes-Romane. An sich könnte Über uns der Himmel, unter uns das Meer fast schon als historischer Roman durchgehen. Denn er beleuchtet die Zeit unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg. Von Australien aus werden über 600 Bräute auf die Reise geschickt. Sie sollen mit den Briten vereint werden, die in Übersee im Einsatz waren und dort das Mädchen ihres Lebens kennen lernten. Der Fokus der Autorin liegt dabei auf vier ganz unterschiedlichen Frauen, die das Schicksal in einer Kabine auf dem Flugzeugträger Viktoria zusammen geführt hat. Maggie, Avice und Jean reisen als australische Bräute zu ihren englischen Männern, die nach Kriegsende in die Heimat entlassen wurden. Frances hingegen hat ihren Dienst als Krankenschwester im Kriegslazarett beendet und ist auf dem Weg zurück nach England. Jede der vier Frauen hat Angst vor der Zukunft, jede geht damit anders um. Die 16-jährige Jean geht mit der unbekümmerten Sorglosigkeit an die Reise heran und muss schließlich einen hohen Preis für ihre Naivität zahlen. Die hochschwangere Margaret ist von Zweifeln zerfressen, ob es richtig war, ihre Familie zu verlassen, um Joe nach England zu folgen. Zudem fürchtet sie, ihrer Mutterrolle nicht gerecht zu werden. Frances wird von der Vergangenheit eingeholt, vor der sie auf der Flucht ist. Und die verwöhnte Avice muss zum ersten Mal damit leben, nicht auf die Privilegien der reichen Tochter pochen zu können. Während der Fahrt nach England kommen sich die vier Frauen trotz ihrer Unterschiedlichkeit näher. Das Schicksal meint es allerdings nicht mit allen gut: Einige müssen bitter einstecken und ihre Zukunftsträume vergessen.

Es ist kein leichtes Thema, dem sich die bekannte Bestsellerautorin Jojo Moyes hier zuwendet. Sie tut es aus eigener familiärer Geschichte heraus, war doch ihre Großmutter einst eine der Bräute, die von Australien nach England aufbrachen. Diese Verbindung ist Grundlage für eine ungewohnte Nähe zum Stoff. Jojo Moyes kann nachfühlen, wie es den jungen Frauen auf dem Schiff geht, die zwischen zwei Welten geraten. Sehr nahe, sehr dicht bleibt sie bei den Bräuten. Auch wenn die vier Protagonistinnen im Vordergrund stehen, so zeigt sie doch anhand einiger kleiner Episoden die Vielschichtigkeit der Fracht, die die Viktoria auf ihrer letzten Fahrt nach England bringen soll. Da gehörten auch üble Tiefschläge dazu. Denn nicht alle Soldaten wollen nach dem Krieg und zurück in der Heimat noch etwas von ihren australischen Bräuten wissen. So müssen einige der jungen Frauen auf dem Weg das Schiff verlassen, um in ihre Heimat zurück zu kehren.

Gut nachvollziehbar beschreibt Jojo Moyes das Leben an Bord des Flugzeugträgers, der nicht für diese Zahl von Passagierinnen ausgerüstet ist. Die Nähe zu den Männern der Crew und zu den Soldaten auf dem Schiff birgt einigen Zündstoff in sich. Obwohl die Leser sich dessen bewusst sind, erleben sie dennoch voller Schrecken mit, wie sich die Gruppen immer mehr annähern und die klaren Verbote des Kapitäns außen vor lassen. Schnörkellos und gut nachvollziehbar schildert Jojo Moyes, wie es dazu kam, dass einige Frauen ihre Kabinen verließen und Zerstreuung bei den Männern suchten. Hier geht die Autorin allerdings nicht in die Tiefe sie bleibt dem Grundmuster treu, das vor allem das Schicksal der vier Hauptfiguren beleuchtet. Es mag daran liegen, dass es sich hier um ein frühes Werk der Autorin handelt, doch gibt es im Verlauf der Geschichte einige Ungereimtheiten, die auf falsche Überlegungen zurückzuführen sind und in späteren Romanen der Autorin kaum mehr zu finden sind.

Viele der Moyes-Fans dürften mit diesem Roman ihre Mühe haben. Er geht stark in die Tiefe und behandelt ein Thema, das klar in der Vergangenheit spielt, während die späteren Werke in der Gegenwart angesiedelt sind und zeitgenössische Themen behandeln. Wer also hier einen Roman im Stile des Bestsellers erwartet, mit dem Jojo Moyes ihren internationalen Durchbruch erreichte, wird enttäuscht sein. Wer Über uns der Himmel, unter uns das Meer wirklich genießen will, muss sich von den vorgefassten Vorstellungen lösen und bereit sein, sich auf etwas ganz Anderes einzulassen. Dann wird er auch in der Lage sein, zu erkennen, welch wundervollen Roman mit kleinen Schönheitsfehlern er in Händen hält.

Über uns der Himmel, unter uns das Meer

Jojo Moyes, Argon

Über uns der Himmel, unter uns das Meer

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