Man kann nie reich und intrigant genug sein
Mauro De Blasi, CEO der Firma Manuelli und einer der bedeutendsten Manager des Landes, wird von besorgniserregenden Aussetzern befallen, die urplötzlich auftreten und ihn vorübergehend handlungsunfähig machen. Ausgerechnet jetzt steckt er mitten in den Verhandlungen für die Übernahme der Firma Artenia, die aufgrund der schwachen Weltwirtschaft in eine Krise geraten ist und keine Bankkredite mehr bekommt. Es geht um einen Deal im Umfang von zweihundert Millionen Euro. Mauro hat alles im Griff, den alten Birolli, der Aufsichtsratsvorsitzender der Artenia ist, den alten Manuelli, seinen Chef und Aufsichtsratsvorsitzenden des nach ihm benannten Unternehmens, und die Politik. Als er über ein geschickt lanciertes Gerücht durchsickern lässt, eine Sanierung der Artenia sei möglich, aber nur mit Kurzarbeit und Werksschließungen, bietet der Staatssekretär Pennacchi ihm einen geheimen Deal an, damit er nicht die beiden für die Wiederwahl des Politikers wichtigen Standorte schließt.
Wie erwartet kommt es zu Streiks, Demonstrationen und Besetzungen in den bedrohten Werken. Ein Arbeiter besetzt einen Kran und gerät in Gefahr, weil er herzkrank ist und seine Medikamente nicht dabei hat. In einer Firma explodiert eine Bombe, dabei wird ein Wachmann verletzt. Mauro macht die Streikenden verantwortlich, lässt seine PR-Maschine anlaufen und zieht die Polizei und die Medien mit geschickten Schachzügen auf die Seite der Firmenleitung. Währenddessen bereitet Mauro einen geheimen Deal vor und muss sich gegen Intriganten aus den eigenen Reihen wehren. Ausgerechnet seine Ehefrau und seine engsten Vertrauten, die beiden Stellvertretenden Geschäftsführer der Firma Manuelli, betrügen ihn, spionieren ihm nach und wollen ihn stürzen.
Modernes Raubrittertum
Mehrere Perspektiven kreuzen sich in diesem Wirtschaftsthriller über die hochaktuelle Szene der Topmanager im Raubtierkapitalismus. Der zentrale Erzählstrang handelt von Mauro De Blasi, kompetent, intelligent, ein kluger Stratege, der blitzschnell die Schwächen anderer erkennt und ausnutzt. Nur bemerkt er nicht, dass seine frustrierte Ehefrau Marisa ihn seit geraumer Zeit betrügt. Während er offiziell die Übernahme der Artenia vorbereitet und mit den üblichen Problemen konfrontiert ist, arbeitet er an seinem schurkischen Deal und bereitet sich auf den Tag vor, an dem dieser Deal auffliegen wird. Kurzfristig wird er als Lückenbüßer zu einer Konferenz eingeladen, auf der er eine Rede halten muss, eine Gelegenheit, die sich der aalglatte ambitionierte Karrierist nicht entgehen lassen kann, denn er möchte vor einem geladenen Politiker und Birollis schöner Enkelin Licia glänzen. Die Aufgaben und Probleme überschlagen sich schier, aber er begegnet allen mit dem Elan und der Aggressivität desjenigen, der gewohnt ist zu herrschen und zu siegen. Täuschung, Lüge und strategisches Vorgehen sind seine Stärke. Nur die Unverschämtheit seines Körpers, unangekündigt zu streiken, bereitet ihm einige Sorgen und zwingt ihn zu einer ärztlichen Konsultation. Er kann es sich nicht leisten, Schwächen zu zeigen.
Weitere Stränge erzählen von Mauros erstem Stellvertreter und engem Vertrauten, Guido Marsili, zuständig für Human Resources (im weiteren Sinne) mit einem Faible für Gedichte und schöne Frauen, nicht ganz so intelligent wie Mauro und mit geringerer Menschenkenntnis ausgerüstet, aber mit ebensoviel Arroganz; Mauros zweitem Stellvertreter Beppo Manuelli, der sein stolzes Gehalt, das schöne Büro und das "Flittchen von Assistentin" seinem Vater zu verdanken hat, voller Komplexe und Neid steckt und Mauro ausspioniert; Mauros frustrierter Frau Marisa, die sich in einen anderen Mann verliebt; Mauros Sekretärin Anna, Mutter eines erwachsenen Sohnes, die seit ein paar Monaten eine Liebesaffäre mit dem Gigolo Marco hat.
Sie alle sind verstrickt in kleine und große Intrigen, ob als Täter oder als Opfer, als Sieger oder als Verlierer entscheidet sich erst am Ende des Romans, für Mauro buchstäblich erst im letzten Satz. Schnell und präzise entwirft und skizziert Camilleri einen Handlungsstrang nach dem anderen, verrät dabei so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich, nennt mitunter nicht einmal Namen, um alles zu einem einzigen Strang zu verbinden und nach mehreren unvorhergesehenen Wendungen auf einen Schwindel erregenden Höhepunkt mit überraschender Pointe zulaufen zu lassen. Die Perspektivwechsel beleuchten nicht nur unterschiedliche Handlungsabläufe, sondern relativieren auch die Einschätzungen und Meinungen der Figuren, verdeutlichen ihre Fehleinschätzungen und entlarven ihre Eitelkeiten und Schwächen. Das wird schon zu Beginn deutlich, als Mauro frühmorgens bei der Betrachtung seiner schlafenden Frau Gefühle bekommt und seine Annäherung als akrobatische Meisterleistung ansieht, auf die er stolz ist. Ein paar Zeilen tiefer liest man, dass Marisa wach geworden ist, als er sich zu ihr ins Bett gelegt hat, und die Prozedur nur mit Widerwillen ertragen hat.
In dieser Welt, die von brutal konkurrierenden Alpha-Tieren dominiert wird, haben Frauen einen schlechten Stand. Sie schwimmen mit den Mächtigen, manche werden gefressen. So rabiat wie mit ihren Untergebenen verfahren die Manager auch mit den Frauen, ob es nun die Ehefrau ist, die Geliebte oder die Assistentin. Nur haben die Arbeiter es besser: sie sind gewerkschaftlich organisiert, dürfen weder erpresst, noch gefeuert oder krankenhausreif geschlagen werden. Dass Frauen keineswegs die besseren Menschen sind oder die Welt zu einem besseren Ort machen, zeigt das Beispiel von Licia Birolli, die die Regeln der Männerspiele durchschaut hat und sie mindestens genauso gut wie ein Mauro De Blasi beherrscht.
Eine spannende und rasante Geschichte aus der Sphäre der Topmanager über die Gier nach Macht und Geld, Intrigen und Gegenintrigen, sexuelle Triebe. Ein wahnwitziges und glaubwürdiges Verwirrspiel aus Fakt und Fiktion über den Homo oeconomicus mit einem Happy End im Sinne von Camilleri und Pirandello.
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