Faszinierende Spurensuche
1976 schreibt ein vierzehnjähriges Mädchen aus Rumänien Sportgeschichte. Die bis dahin kaum beachtete Turnerin Nadia Comaneci erreicht für ihre Darbietung die Höchstwertung, die Note 10. Das Computersystem ist überfordert, noch nie hat eine Turnerin diese Wertung geschafft. Überfordert ist auch die Welt. Das jugendliche Alter der Turnerin gibt zu reden. Kritik wird laut, von unmenschlichem Drill ist die Rede, von Ausbeutung von Kindern. Gleichzeitig setzt eine Welle von Bewunderung ein, zahlreiche Mädchen träumen davon, so zu sein, wie die junge rumänische Turnerin. Welchen Preis aber zahlte das Mädchen Nadia Comaneci für ihren Erfolg wirklich? War sie ein Werkzeug von skrupellosen Parteifunktionären und Sporttrainern? Hatte sie ein kindgerechtes Leben? Auch lange, nachdem das Ausnahmetalent Nadia Comaneci von der Wettkampfbühne abtrat, galt sie als Inbegriff des Turnsports.
Die Autorin Lola Lafon machte sich auf Spurensuche. Sie wollte das Leben des Mädchens Nadia Comaneci nachzeichnen und aufzeigen, was die sportlichen Erfolge für die junge Rumänin tatsächlich bedeuteten. Dafür recherchierte Lola Lafon nicht nur in Rumänien selber, sie war auch im ständigen Kontakt mit der Hauptfigur ihres als Roman konzipierten Buches. Das Bild, das Lola Lafon zeichnet, vermag einige Fragen zu klären. Allerdings nicht so, wie es wohl viele erwarten würden. Während Lola Lafon den Drill der Mädchen durch den Trainer Béla Károly darstellt, relativiert Nadia Comaneci selber diesen Drill. Diese Leserinnen und Leser machen zusammen mit der Autorin einen Wandel durch: Sie müssen die lange gehegte Vermutung von Ausbeutung und Drill teilweise revidieren. Denn die Turnerin selber macht deutlich, dass sie aus eigenem Antrieb und Ehrgeiz heraus mehr machte, als es selbst der konsequente und oft strenge Trainer fordert.
Hauptsächlich schildert Lola Lafon das Leben von Nadia Comaneci und der wenigen anderen erfolgreichen Turnerinnen, die von Béla Károly trainiert werden. Immer wieder kommt sie dabei auf das Verhältnis des Trainers und dessen Frau zu den Mädchen zu sprechen. Sie macht sichtbar, mit welchem Engagement Béla Károly sich für seine Turnerinnen einsetzt und dass er nicht immer legale Methoden anwandte, um die Mädchen ins richtige Licht zu rücken und ihnen überhaupt eine Chance zu geben, sich auf internationaler Ebene zu präsentieren. Diese Form der Erzählung ist in klassischer Erzählform gehalten, wie sie vielen Romanen – auch biographischen Romanen - gemein ist. Anders sind die Passagen gestaltet und geschrieben, in denen Nadia Comaneci selber zu Wort kommt. Vom übrigen Text optisch abgehoben und in einer anderen Form geschrieben, werden sie als eigenständige Einschübe in den Text wahrgenommen. Dieser Wechsel in der Erzählform gibt dem Werk Tiefe und erweckt den Anschein, nicht etwa eine Fiktion vor sich zu haben, sondern die Schilderung dessen, was damals wirklich war und was den jungen Rumäninnen diesen Erfolg bescherte.
Nicht nur, wer den Höhenflug Nadia Comanecis mitverfolgte, auch jüngere Leserinnen und Leser, vermögen sich kaum der Faszination zu entziehen, die in dieser Geschichte steckt. Es ist eine unglaubliche Dynamik zu spüren, obwohl Lola Lafon einen eher spartanischen Erzählstil wählt. Und es ist die Erklärung für ein kleines Wunder, das nach wie vor jene bewegt, die sich mit Nadia Comaneci auseinander setzen. Dicht an den Figuren öffnet Lola Lafon ein Fenster, durch das die Leser zu "Insidern" werden und einem Idol ganz nahe kommen.
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