H wie Habicht

  • London: Jonathan Cape, 2014, Titel: 'H is for Hawk', Originalsprache
  • Hamburg: HörbuchHamburg, 2015, Seiten: 6, Übersetzt: Cathlen Gawlich, Bemerkung: gekürzte Ausgabe
H wie Habicht
H wie Habicht
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Rita Dell'Agnese
801001

Belletristik-Couch Rezension vonFeb 2016

Habicht als Mittel zur Trauerbewältigung

Vielleicht sollte sich zunächst jeder fragen, weshalb er gerade zu diesem Buch greift. Was erwartet der Leser, die Leserin von diesem Werk. Viele werden auf diese Frage antworten, dass sie auf den Einblick in die Falknerei gespannt sind, mehr wissen möchte über die Arbeit mit Raubvögeln. Sie werden zum Schluss das Buch zuklappen und enttäuscht sein. Andere mögen die Frage im Sinne beantworten, dass sie auf der Suche nach einem außergewöhnlichen Buch sind. Diese Leserinnen und Leser werden wohl aufs angenehmste überrascht sein und das Werk von Helen Macdonald anschließend überall lobend erwähnen. So kann zunächst eines gesagt werden über „H wie Habicht": Es ist ein Buch, das die Geister scheidet.

Ja, es geht in diesem Buch um Raubvögel und um Falknerei. Auch! Zur Hauptsache geht es um die Autorin selber. Sie erlebt eine Phase voller Schmerz, Trauer, Verzweiflung, Verlust. Ihr Vater ist gestorben und reißt eine tiefe Wunde in die Seele der jungen Frau. Sie versucht, durch die Zähmung des Habichts Mabel mit dem Verlust umzugehen, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Diesem Zusammenspiel zwischen Trauerbewältigung und Herausforderung durch die Arbeit mit dem schon seit vielen Jahren bewunderten Tier wohnt eine tiefe Faszination inne. Es zeigt, wie Gefühle kanalisiert werden und sich in einer erfolgreichen Art und Weise Bahn brechen können. Helen Macdonald versteht es hervorragend, ihre eigene Leidenschaft für die Raubvögel, insbesondere aber für den Habicht in Worte zu fassen und sie für die Leser erfahrbar zu machen.

Wohl ohne Absicht, dennoch nicht ohne Akribie entmystifiziert die Autorin die Falknerei. Die Zähmung des Habichts wird zu einem Selbstzweck, die Beschreibung dürfte viele Tierschützer aufrütteln und zutiefst erschüttern. Es geht um Jagd, es geht um Überleben und Vernichten. Aspekte, die man sich ins Bewusstsein rufen sollte, bevor man sich in der Geschichte von Helen Macdonald verliert. Das Zusammenraufen von Mensch und Tier braucht von beiden Beteiligten konsequente Bereitschaft, sich auf das andere Wesen einzulassen. Die Geduld, die die trauernde junge Frau dabei an den Tag legt, ist unabdingbar für den Erfolg, aber auch Ergebnis des Wunsches, sich aus dem lähmenden Gefühl der Trauer wegzubewegen und die Gedanken auf die Erhabenheit und Kraft des Habichts zu lenken.

H wie Habicht ist kein Roman, eher ein Sachbuch – doch auch das nicht ganz so richtig. Das Werk ist schwer einzuordnen, geht eigenwillig wie die beiden Protagonisten seinen Weg und schlängelt sich durch die Klassifizierungen hindurch. Letztlich ist es wohl vor allem eine Seelenschau, eine Frage der Trauer und eine aus dem Verdrängungswunsch heraus geborene korrekte, wenn auch nicht besonders lebendige Schilderung des Raubvogels Habicht. Der Autorin will es nicht so recht gelingen, aus der Blockade auszubrechen und die Trauer offen zu leben und damit auch anzufangen, sie zu bewältigen. Sie kultiviert ihre negativen Gefühle und baut ihr Leben darauf auf. Das bricht sich in manchen eher zähflüssigen Szenen Bahn, bringt Längen hervor und lässt immer mal wieder die Frage auftauchen: Worum geht es hier eigentlich? Nicht zur Lebendigkeit des Buches trägt bei, dass die Autorin den Lebenslauf des britischen Schriftstellers Terence Hanbury White einflicht. Sie ist dem großen Schriftsteller stark verbunden, ohne aber sich auf seiner Ebene bewegen zu können. Diese zusätzliche Komponente macht das Buch schwerfällig und etwas konfus, gibt ihm andererseits eine weitere Richtung, die Interesse wecken kann, sofern die Bereitschaft des Lesers dazu da ist.

Mit ihrem Werk H wie Habicht sprengt Helen Macdonald Grenzen, was sich auch in den unterschiedlichen Reaktionen auf das Buch zeigt. Eines schafft die Autorin auf jeden Fall: Wer sich ernsthaft eine Meinung zum Buch bilden will, wird nicht umhin kommen, es zur Hand zu nehmen und zu lesen. Erst dann wird der Betreffende schlüssig sagen können, ob er der Faszination erlegen ist, oder sich gelangweilt hat. Es wird davon abhängen, ob der sich dem Leser dieses stille Bild der komplexen Verknüpfung öffnet oder nicht. Wenn sich die Welt erschließt, wird das Buch noch lange in den Gedanken bleiben. Und das ist wesentlich mehr, als viele Romane schaffen.

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