Mit Platon in Palästina. Vom Nutzen der Philosophie in einer zerrissenen Welt
- Carl Hanser
- Erschienen: Januar 2016
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- Princeton: Princeton University Press, 2015, Titel: 'Teaching Plato in Palestine. Philosophy in a Divided World', Originalsprache
- München: Carl Hanser, 2016, Seiten: 256, Übersetzt: Matthias Fienbork
Debattieren. Das Dasein hinterfragen und die Vielfalt besser verstehen.
Die Philosophie aus dem Elfenbeinturm holen und sie hinuntertragen in die wirkliche Welt, die da ächzt unter alten und neuen Problemen, die bevölkert wird von Nichtphilosophen, das ist ein edles, das ist ein großartiges Unternehmen, dem man viel Achtung zollen muss, weil es nichts geringeres versucht, als unser Leben besser zu machen, unsere Möglichkeiten umzusetzen, unser Menschsein zur Entfaltung zu bringen. Immer wieder gab es jene mutigen Philosophen mit Gestaltungswillen und dem Vorsatz, den Mitmenschen mittels Wissen bei der Umsetzung eines guten Lebens zu helfen. Sie sind professionelle Denker, befassen sich mit Fragen nach dem guten und richtigen Leben, nach der Organisation des Miteinander, mit Ethik und auch mit Religion. Oft besteht ihr Vorhaben darin, den Mitmenschen zu helfen, ihr Dasein und ihre Umgebung, welches ihnen als gegeben und unumstößlich erscheint, in Frage zu stellen. Der Philosoph will zum kritischen Nachdenken anregen, er ist, in diesem allgemeinen Sinne, ein Aufklärer, der den Gebrauch des Verstandes, der Vernunft postuliert, damit ein jeder und alle zusammen besser leben können.
Carlos Fraenkel ist ein ambitionierter Philosoph und das vorliegende Buch ist Ausdruck seiner Ambition, es will Philosophie unter die Leute bringen, will zeigen, dass die Liebe zur Weisheit in der modernen, globalisierten, multi-ethnischen Welt von Nutzen ist. Es ist kein Lehrwerk für Experten und keine Einführung in die Philosophie für Laien, es ist ein Aufruf. Stellt Fragen!, Diskutiert mit anderen!, Werft die Scheuklappen ab!, ruft dieses Buch.
In verschiedenen Teilen der Welt veranstaltete Fraenkel Workshops und Seminare, die das Ziel hatten, in Zusammenarbeit mit den Teilnehmern zu klären, inwiefern Philosophie bei der Lösung von Problemen in der alltäglichen Realität helfen kann. Meist waren die Teilnehmer durch ihre Religiosität geprägt, so z.B. chassidische Juden in New York, muslimische Studenten in Jerusalem und in Indonesien. Bei ihnen ging es oft um die Vereinbarkeit von Religion und kritischem Hinterfragen. Fraenkel funktionierte als Vermittler der beiden Seite, zeigte historische Beispiele auf, die verdeutlichten, wie Philosophen Religion in ihr Denken einbauten und vice versa. Dadurch zeigt er seinen Seminarteilnehmern, dass Philosophie eine Bereicherung für die religiöse Weltsicht sein kann und nicht als Bedrohung, im schlimmsten Fall als Nihilismus, angesehen werden muss. Kritisches Hinterfragen zeigt er als Prüfung des Bekannten mit offenem Ausgang. Grundlegende Fragen kann sich ein Gläubiger stellen ohne vom Glauben abzufallen, ohne gegen seine Überzeugungen zu handeln. Es ist ein Plädoyer für Offenheit den eigenen Ideen gegenüber, die oft nur übernommen und nicht abgewägt werden.
Am Ende vom Seminar findet sich wenig, was man als Gewinn oder konkretes Ergebnis bezeichnen könnte, da macht der Autor keinen Hehl daraus. Lösungen für einzelne Probleme werden nicht gesucht in jenen Workshops und Seminaren, es geht dem Veranstalter um das Setzen von Impulsen, er will seinen Zuhörern – jenen, die vor ihm saßen, und jenen, die dann das Buch lesen – zeigen, wie Philosophie die eigene Weltsicht bereichern kann, indem es sie hinterfragt. Bekehren will er niemanden und auch niemanden von seinem Weg abbringen. Er will verdeutlichen, auf welchen Grundlagen unsere Welt fußt, er will zeigen, dass es für andere Menschen ähnliche und doch unterschiedliche Grundlagen sind. Kulturelle und religiöse Unterschied werden dadurch verständlicher, da sie gleichsam relativiert werden können. Ein Lebensentwurf wird gleichberechtigt neben einen anderen Lebensentwurf gestellt, beide haben ihre Rechtfertigung, ihre Logik, ihre Wahrheit. Respekt und Kommunikation resultieren als Mittel, um einander besser zu verstehen.
Doch nicht alle Gruppen sind durch ihre Religiosität geprägt. In Brasilien trifft Fraenkel auf die Folgen des Kolonialismus, ist Rassismus und sozialer Ungleichheit konfrontiert. Philosophie kann, seiner Meinung nach, in diesem Kontext einen Beitrag leisten, die Gesellschaft gerechter zu machen und beim Abbau von Vorurteilen helfen. Mit einer Gruppe Mohawk in Kanada diskutiert er Fragen der kulturellen Identität, die von großer Bedeutung für diese Menschen sind, da sie sich am Rande der Gesellschaft befinden und in vielerlei Belangen ausgeschlossen werden, oft das Gefühl haben, in der Geschichte des Kontinents als Verlierer und Vergessene dazustehen. Mit ihnen tut sich Fraenkel besonders schwer, man spürt, wie seine Intention, eine offene Diskussion über Kultur anzustoßen, auf tief sitzenden Widerstand trifft bei Menschen, die sich ein In-Frage-stellen ihres Daseins nur schwerlich leisten können, da sie als Gruppe eine permanente Bedrohung spüren. Doch auch bei ihnen glaubt Fraenkel, der unermüdliche, optimistische Philosoph aus Montreal, positive Resultate der Unterhaltungen zu sehen.
In zwei Teile ist das Buch gegliedert. Zuerst werden die Seminare in aller Welt geschildert, ohne dass dabei zu sehr auf theoretische Einzelheiten eingegangen wird. Es ist kein Buch über Philosophie, sondern vielmehr ein Buch über die Möglichkeiten der Philosophie in unserer mannigfaltigen Gegenwart. Deshalb sind die Einblicke in Platons Werk auch nicht mehr als oberflächlich, sondern wird vielmehr geschaut, wie die Realität für muslimische Studenten in Jerusalem aussieht. Der Autor kontextualisiert seine Seminare und Workshops, erzählt von seinem Aufenthalt, gibt ein paar Fakten zum Land, seiner Geschichte und seinen Menschen wieder. Orte, die er besser kennt, werden dabei lebendiger beschrieben als solche, die ihm fremd sind und bei denen er sich auf Statistiken verlassen muss, um seinen Lesern ein Szenario entwerfen zu können. Ziel ist es, die unterschiedlichen Orte in ihren Eigenarten darzustellen und den Nutzen der Philosophie in derart unterschiedlichen Regionen der Welt zu verdeutlichen. Das kritische Hinterfragen ist nicht an bestimmte Situationen, Religionen oder politische Systeme gebunden, es kann überall auf der Welt von Nutzen sein, will der Autor dem Leser dadurch aufweisen.
Im zweiten Teil zeiht er dann seine Schlüsse und formuliert seinen Anspruch, seinen Vorschlag. Die Philosophie sollte Grundlage für eine allgemeine Debattenkultur sein, sollte in unserer globalisierten Welt helfen, die vielen Unterschiede in Weltanschauungen nicht zu überwinden, aber miteinander zu versöhnen.
Wenn man Fraenkels Vorhaben auch loben muss, so darf man dabei nicht die Schwächen des Buches unterschlagen, sowohl inhaltlicher Natur als auch bezüglich der Form. Um möglichst viele Beispiele unterzubringen, hält der Autor die Kapitel zu den Seminaren und Workshops recht kurz, was mitunter zu oberflächlichen Schilderungen und Allgemeinposten führt. Der Intention fallen dabei die Beispiele zum Opfer, sie werden zu Schablonen, mittels derer die Botschaft übermittelt werden soll. Man erfährt letztlich recht wenig über die Seminare und ihren Inhalt, meist bleiben die Auszüge exemplarisch.
Bei der zentralen Forderung des Buches, die Philosophie zur Belebung einer Debattenkultur zu verwenden, muss man kritisch zurückschauen auf den ersten Teil des Buches, um festzustellen, dass Fraenkel wohl schwierige Themen in seinen Seminaren behandelte, es dort aber nicht zum Treffen mehrerer Gruppen kam, denn stets war es der Autor und eine Gruppe der Gesellschaft, die dort zusammenkamen. Daraus die Nützlichkeit der Philosophie abzuleiten, erscheint überzogen, da die beschriebenen Beispiele nur aufzeigten, wie sich eine Gruppe mit sich selbst und der eigenen Welt beschäftigt, jedoch nicht mit Vertretern einer anderen, konkurrierenden Weltsicht. So diskutierte Fraenkel in Jerusalem mit muslimischen Studenten, während die jüdischen Studenten der Stadt andere Seminare besuchten und nicht an einer Debatte mit den muslimischen Studenten teilnahmen. Dabei fungierte der Autor stets als Ratgeber, der Denkanstöße gab, zu einer Debatte zweier Gruppen kam es dabei jedoch nicht.
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