Verdrehte Zeit

  • dtv
  • Erschienen: Januar 2016
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  • München: dtv, 2016, Seiten: 160, Übersetzt: Barbara Schaefer
  • Warschau: Twój STYL, 2002, Titel: 'Czas odwrócony', Originalsprache
Verdrehte Zeit
Verdrehte Zeit
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Sebastian Riemann
831001

Belletristik-Couch Rezension vonOkt 2016

Alte Verantwortung kommt zurück

Früher war Roman ein Widerständler. In der Zeit des zweiten Weltkrieges, da die Deutschen Polen besetzt hatten und die Bevölkerung unterdrückten, ausbeuteten und umbrachten. Er war Mitglied einer kleiner Spezialeinheit, die in Warschau operierte und den deutschen Besatzern das Leben schwer machen sollte. Im Geheimen lebte er, traf sich mit den anderen und plante die Aktionen. Mitunter waren es hochkarätige Aufträge, die sie ausführten, von großer Bedeutung und weitreichenden Auswirkungen. Geheimhaltung war dabei die erste Devise, da die Spitzel und Handlanger des fremden Regimes überall lauerten, ständig die Augen und Ohren offen hielten, um die nächste Aktion des Widerstandes vorauszuahnen und im Keim zu ersticken. Es war eine Arbeit, die den Tod für einige wenige oder aber für viele bedeuten konnte. Sie war Teil des Krieges, obwohl der Krieg offiziell an deren Orten tobte und Polen besetztes Gebiet war.

Heute ist Roman Bibliothekar. Nur heißt er heute nicht mehr Roman. Die Zeit des Widerstandes ist lange vorbei und die Erinnerungen an seine damalige Tätigkeit verblassen. Damals wurde er Roman genannt. Es war sein Deckname gewesen in der kleinen Spezialeinheit. Doch mit dem Verschwinden der Spezialeinheit und noch viel mehr mit dem Ende des Krieges verlor der Name Roman für ihn jede Bedeutung. Er wurde ein neuer Mensch, der ein normalen Leben im Polen nach dem Krieg suchte. Inmitten langer Bücherregale bewegt er sich heute und führt eine Arbeit aus, deren Ruhe und Alltäglichkeit in krassem Kontrast zum Handeln des ehemaligen Widerständlers stehen. Die schwierigen Jahre hat er hinter sich gelassen, den Kampf gegen die Bildung eingetauscht. Doch dann holt ihn plötzlich und ohne Vorwarnung die Vergangenheit ein, wirft sich in seine stille Alltagsroutine, auf dass sein Weg nicht mehr geradlinig weiterführt, sondern Kurven schlägt und unmögliche Kreise vollführt.

Nach einem langen Arbeitstag kommt der Bibliothekar nach Hause und trifft in seinem Treppenhaus auf eine Frau, die ihm bekannt vorkommt. Genau kann er nicht sagen, was es ist, das ihn denken lässt, er kenne diese Frau oder habe einmal jemanden gekannt, der ihr sehr ähnlich sieht. Dann aber verwandelt sich die Ahnung in einen schweren Schock, da die Frau ihm einen Brief überreicht, in dem auf seinen Auftrag verwiesen wird. Es ist nicht irgendeine Frau, sondern die einzige Frau, die damals in seiner Spezialeinheit mitwirkte. Die Erkenntnis trifft ihn schwer. Es ist nämlich nicht möglich. Weshalb er es vorerst abstreitet, alles für einen schlechten Scherz hält, sich einen ordentlichen Schluck Wodka gönnt und alles in einer dunklen Nacht vergisst. Von der damaligen Spezialeinheit gibt es keine Überbleibsel, alle anderen Mitglieder waren ums Leben gekommen bei einem letzten Einsatz, der Erfolg und Misserfolg in einem war. Keiner von ihnen kann zu ihm Kontakt suchen, kann auf die Vergangenheit anspielen. Die Frau aber, die in seinem Treppenhaus auf ihn gewartet hatte, war wirklich gewesen und hatte ihm einen Brief gegeben, in dem es um jene Aktion geht, bei der damals die gesamte Einheit umkam.

Mit viel Einfühlungsvermögen und Liebe für Details schreibt Odojewski über eine Unmöglichkeit, die doch Realität wird und letztlich nicht so schwer zu verstehen ist. Sein Protagonist Roman führt ein einfaches, ruhiges Leben und glaubt seine Vergangenheit weit von sich, muss sich aber mit einem Mal einer Verantwortung stellen, die er glaubt, nicht in seinem Kopf und Gedächtnis finden zu können. Er hadert und zweifelt mit sich, mit seiner Wahrnehmung. Die Dinge, die ihm geschehen, können nicht wahr sein. Zugleich weiß er aber, dass sie wahr sind, dass die Vergangenheit lebendig ist und in ihn weiterlebt, immer in ihm weitergelebt und nur auf einen Moment gewartet hat, um auszubrechen, um sich wiederzuholen, was ihr und den anderen Mitgliedern der Spezialeinheit des Widerstandes gehört.

Verdrehte Zeit veranschaulicht, wie eine Person nicht einfach seine Vergangenheit ablegen und ein neues Leben beginnen kann, sondern immer verbunden bleibt mit dem, was war, und den Menschen, die einmal an ihrem Leben teilnahmen. Roman trägt – das muss er feststellen – sein gesamtes Leben in sich und nicht nur die Teile, die er als erträglich erachtet.

Verdrehte Zeit

Wlodzimierz Odojewski, dtv

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