Die Manns - Geschichte einer Familie
- S. Fischer
- Erschienen: Januar 2015
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- Frankfurt am Main: S. Fischer, 2015, Seiten: 480, Originalsprache
- München: Der Hörverlag, 2016, Seiten: 2, Übersetzt: Christian Baumann, Bemerkung: ungekürzte Ausgabe
Die Entzauberung des Zauberers
Wer war Thomas Mann? Zweifellos einer der größten Literaten des deutschsprachigen Raums. Aber auch ein Mann, der es verstand, seinen Namen zu verkaufen, seine Berühmtheit zu nutzen, um reiche Freunde zu großzügigen Zuwendungen zu veranlassen. Thomas Mann war nicht zuletzt Familienvater, der seine Gunst höchst einseitig an die Kinder verteilte. Die vielen Facetten des Literaten in eine Biographie zu verpacken, die sich liest wie ein vielschichtiger Roman, ist keine leichte Aufgabe. Mann-Kenner Tilmann Lahme hat sich dieser Sache gestellt, und sie mit Bravour gelöst. Er legt mit Die Manns ein Werk vor, das den Leser bis zuletzt zu fesseln vermag und ihn mit einem völlig veränderten Blickwinkel nicht nur auf Thomas Mann, sondern auch auf seine sechs Kinder und die starke Frau an Manns Seite, Katia Mann. Hat der Leser vor der Lektüre dieser Biographie hinter Thomas Mann einzig den Schriftsteller gesehen, der den Nazis ein Dorn im Auge war und deshalb Deutschland verlassen musste, wird er danach einen kantigen Mann mit stark egoistischen Zügen sehen. Ein Mensch, für den es primär nur den einen Mittelpunkt gibt: Sich selber, sein schriftstellerisches Schaffen und möglicherweise noch ganz am Rande drei seiner Kinder: Erika, Klaus und vor allem seinen Liebling Elisabeth. Monika, die aus Sicht des Vaters am besten weit weg von ihm bleibt, Michael, der Liebling der Mutter, der für den Vater ohne Bedeutung war und der Drittgeborene Golo, der als Einziger den Ehrgeiz hat, sich von Vaters Geldbörse wie auch von seinem Einfluss abzunabeln, bleiben dem Vater fremd.
Thomas Mann, in seinen Grundzügen durchaus der Homosexualität zugeneigt, lässt sich von seiner Frau Katia den Rücken frei halten, damit ihm genügend Freiraum zum Schreiben bleibt. Lange ordnet er das politische Geschehen in Deutschland nicht richtig ein, bezieht keine Stellung. Als er dazu gedrängt wird, verurteilt er den Nationalsozialismus mit deutlichen Worten und muss dafür hinnehmen, von den Deutschen fortan als Halbjude geächtet zu sein. Thomas Mann und seine Familie zieht es rechtzeitig ins Asyl, zunächst in die Schweiz. Einzig Katias jüdische Eltern bleiben zu lange in Deutschland, um der Tochter und ihrer Familie noch folgen können - sie sind mit über 80 Jahren der brutalen Gewalt des Nationalsozialismus ausgesetzt, der Staat verweigert ihnen vorerst die Ausreise. All diese Details vermögen dem Leser ein beeindruckendes Bild von den Wirren der Vorkriegsjahre und von den politischen Verhältnissen der Kriegsjahre geben. Der Zauberer, wie Thomas Mann von seiner Familie respekt- und wohl auch teilweise durchaus liebevoll genannt wird, hat es geschafft, trotz eines dem Regime unbequemen Statements seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und Deutschland rechtzeitig den Rücken zu kehren. Das bringt ihm nicht zuletzt den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft und den Verlust namhafter Vermögenswerte ein. Doch Mann wäre nicht Mann, wenn es ihm - oder vielmehr immer wieder auch seiner Frau Katia - gelänge, die fehlenden Vermögenswerte durch Zuwendungen aus verschiedensten Quellen wieder wett zu machen. Genau das aber bekommt je länger desto mehr einen faden Beigeschmack. Gestützt auf Briefe von Thomas Mann und seiner Familie entzaubert Tilman Lahme den Zauberer und zeigt, wie sehr sich sowohl Mann selber als auch seine Kinder aufs Schnorren verstehen.
Je weiter der Leser das Leben der Mann-Familie verfolgt, desto mehr offenbaren sich ihm die Abgründe der Psyche der einzelnen Familienmitglieder. Dabei ist keineswegs die Homosexualität gemeint, die nicht nur beim Vater, sondern auch bei den Söhnen Klaus und Golo, sowie bei Tochter Erika teilweise oder ganz durchbricht. Diese Komponente trägt wohl eher dazu bei, dass es den Manns nicht immer einfach gemacht wird, ihren Weg zu gehen, leben sie doch in einer Zeit, in der Homosexualität nicht offen gelebt werden kann, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Vielmehr kämpfen etliche der Mann-Sprösslinge mit ethischen Problemen: Erika nimmt es mit der Wahrheit nicht genau und biegt sich die Geschichte so zurecht, wie sie sie haben möchte. Klaus versinkt in Drogensumpf und Selbstmitleid, Michael neigt zu Gewalt und zeigt wenig Bereitschaft, sich finanziell auf eigene Füße zu stellen. Alles in Allem eine Familie, der man wenig Sympathie entgegen bringen würde - mit Ausnahme wohl vor allem gegenüber Golo Mann, der sich als kluger Denker mit einem erstaunlich hohen Grad von Unabhängigkeit erweist - wäre es nicht die Familie eines hoch verehrten Literaten.
Auch nach der Lektüre dieser entlarvenden, auf persönlichen Unterlagen der Familie beruhenden Biographie bleiben die verschiedenen Werke der Manns, was sie immer waren: Teilweise herausragende Arbeiten, die über Jahrzehnte hinweg die literarische Entwicklung im deutschsprachigen Raum beeinflussten. Die Achtung gegenüber den Verfassern jedoch bekommt in manchen Fällen doch recht Schlagseite. Für diese offene und unverblümte Biographie gebührt dem Autor Tilmann Lahme Beifall.
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