Schattwald

  • Berlin: audio media, 2016, Seiten: 6, Übersetzt: Julia Fischer und Axel Wostry, Bemerkung: gekürzte Ausgabe
Schattwald
Schattwald
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Rita Dell'Agnese
751001

Belletristik-Couch Rezension vonJun 2017

Was geschah damals wirklich?

Anne Südhausen ist 46 Jahre alt, erfolgreiche Journalistin bei einem Frauenmagazin - und seit kurzem Single. Noch kommt sie mit ihrem neuen Leben nur schwer zurecht. Ausgerechnet da erhält sie die Nachricht, dass ihre Großmutter gestorben sei und ihr, Anne, wichtige Informationen hinterlassen hat. In der Überzeugung, dass es sich nur um ein paar Tage handeln kann, reist Anne nach Innsbruck, um die Beerdigung der Großmutter zu organisieren und den Nachlass zu regeln. An ihre Großmutter Charlotte hat Anne nur noch vage und wenig liebevolle Erinnerungen. Sie hat sie als kalte, harte Frau kennen gelernt und stand ihr nie besonders nahe. Dennoch berührt es sie seltsam, als sie im alten Haus ihrer Großmutter ankommt und viele aus der Kindheit vertraute Dinge sieht. Im Haus stößt Anne auf die gut versteckten Tagebücher ihrer Großmutter und vertieft sich in die Aufzeichnungen Diese gehen in die Zeit des zweiten Weltkriegs zurück, als Charlottes Zwillingsbruder an der Front stirbt. Die junge Frau ist verzweifelt, fühlt sich leer und nur halb. Deshalb wird sie von ihren wohlhabenden Eltern ins Sanatorium Schattwald oberhalb von Innsbruck geschickt. Schnell erkennt die intelligente Charlotte, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Sie erlebt die Diskrepanz zwischen dem sehr liebevollen Chefarzt und dem zackigen Assistenzarzt, stellt fest, dass die Patienten nicht das sind, was sie vorzugeben scheinen und auch mit der Köchin etwas nicht ganz zu stimmen scheint. Um eine Mitpatientin zu retten, wird Charlotte schließlich vom Chefarzt ins Vertrauen gezogen: Er versucht, in Schattwald Patienten davor zu schützen, von den Nazis vernichtet zu werden. Bevor Anne jedoch die Tagebücher fertiggelesen hat, verschwinden die zwei letzten Hefte. Sie ahnt, dass die Geschichte Spuren bis in die Gegenwart zieht.

Zunächst scheint es, als ob hier eine etwas banale Mainstream-Geschichte präsentiert wird: Die verlassene Frau, die sich auf die Suche nach sich selber macht und dabei einem Geheimnis aus der Vergangenheit ihrer Familie auf die Spur kommt. Ganz falsch ist dieser Eindruck nicht - der Plot entspricht in groben Zügen diesem Klischee. Doch wird man bei näherem Hinsehen auf eine ganz besondere Geschichte stoßen. So banal der Part von Anne auch bleibt, so tiefgründig wird die Geschichte Charlottes. Die Autorin Barbara Dribbusch vertieft sich in die Ereignisse in den Heilanstalten für psychisch Kranke während des Weltkriegs. Sie zeigt die Methoden der Nazi-Ärzte auf, die die Kranken zu Forschungszwecken missbrauchten und nicht selten entweder in den Freitod trieben oder sie schließlich zur Vernichtung deportieren ließen. Auch wenn die Autorin das Spannungsmoment eher in der Gegenwart anzusiedeln versucht, so sind es doch die Ereignisse rund um Schattwald, die den eigentlichen Reiz des Romans ausmachen. Charlotte bekommt mit der Zeit klare Konturen, obwohl sie zu jener Zeit einerseits als junges Mädchen aus behütetem Haus und andererseits als trauernde Schwester noch recht naiv dargestellt ist. Ihre Denk- und Handlungsweise entspricht jedoch ganz der entsprechenden Situation. Etwas schwieriger ist es da schon, der Protagonistin der Gegenwart, Anne Südhausen auf die Spur zu kommen. Anne bleibt bis zuletzt eine blasse Hauptfigur, die in sich nicht ganz stimmig ist. Zum einen ist sie die erfolgreiche Berufsfrau, die in Hamburg einiges auf die Reihe bringt, wenn auch gerade ihre Beziehung in die Brüche gegangen ist. Zum anderen ist sie jedoch eine ängstliche Frau, die im Haus ihrer Großmutter eine Lärmfalle hinter der Türe aufbaut, weil sie sich fürchtet. Damit verliert Anne stark an Glaubwürdigkeit. Ihre seltsame Beziehung zu den beiden neuen Bekannten macht die Sache da nicht besser.

Wer sich mit dem düsteren Kapitel der psychisch Kranken im zweiten Weltkrieg befassen mag, wird mit diesem Roman eine interessante Lektüre in Händen halten. Auch wer einfach Unterhaltung sucht, ist mit «Schattwald» gut bedient. Wer hingegen Spannungsliteratur bevorzugt, wird hier nicht vollumfänglich auf seine Kosten kommen, obwohl der Roman durchaus das eine oder andere Spannungselement zu bieten hat.

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