Sie waren beide Flüchtlinge
Adib und Karl haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Adib ist jung, steht an der Schwelle zum erwachsen werden. Der Junge aus Afghanistan ist als Flüchtling nach Deutschland gekommen und lebt in einem Flüchtlingsheim in Berlin. Karl steht mit über 80 Jahren am Ende seines Lebens. Ein leichter Schlaganfall macht ihm zu schaffen, er muss vieles wieder lernen. Als Karl Adib begegnet, löst das Schicksal des Jungen in ihm die Erinnerung an seine eigene Ankunft in Berlin aus. Denn Karl ist zwar Deutscher, kam aber einst ebenfalls als Flüchtling hier an. Aus Schlesien vertrieben, musste die Familie eine neue Heimat finden. Bei genauerem Hinsehen erkennen die beiden die Parallelen in ihrem Leben. Sie nähern sich an, beginnen sich gegenseitig zu schätzen. Karl findet im jungen Adib einen Freund, der ihm nicht nur Erinnerungen zurück bringt, sondern auch Horizonte öffnet.
Es wird schnell deutlich: die beiden Flüchtlingsschicksale sind sich in jeder Hinsicht ähnlich. Sowohl Karl als auch Adib flüchten mit Mutter und Geschwistern aus der alten Heimat. Sie erleben rohe Gewalt, Hilflosigkeit, Verachtung und Not. Sie müssen mit einem Trauma leben und alles aufgeben, was einst ihre Welt ausgemacht hat. Hier vermag der Autor Daniel Höra wunderbar, die beiden Jahrzehnte auseinander liegenden Flüchtlingsschicksale in ihrer ganzen Gemeinsamkeit sichtbar zu machen. Wer sich dafür öffnet, wird sich über die aktuelle Flüchtlingsproblematik Gedanken machen, vielleicht gar über die Geschichte der eigenen Großeltern nachdenken müssen. Die im Wechsel erzählten Flucht-Geschichten von Karl und Adib lassen es wunderbar zu, Vergleiche anzustellen.
Leider bleibt Daniel Höra aber in vielen Bereichen sehr an der Oberfläche. Selbst vor dem Hintergrund, dass der Roman primär ein jugendliches Publikum ansprechen soll, wäre eine etwas differenziertere Auseinandersetzung mit dem Thema durchaus wünschenswert gewesen. Die Vertreibung von Karls Familie aus Schlesien wirkt unnötig klischeehaft, und auch Adibs Erlebnisse auf der Flucht, vor allem die Ankunft in Europa schwimmen sehr an der Oberfläche. Karl, vor seiner Flucht nach Berlin ein jugendlicher, aber überzeugter Nazi-Anhänger – er war unter anderem Mitglied der Hitlerjugend und verehrte Rommel - wird in seiner damaligen Überzeugung und der später stattfindenden Entwicklung nur sehr rudimentär dargestellt. Nichts stört das Bild von Gut und Böse, das Daniel Höra zeichnet. Die Figuren sind einwandfrei zuzuordnen und verlieren auf diese Weise stark an Konturen. Das gilt nicht nur für die beiden Protagonisten Karl und Adib, sondern auch für die Nebenfiguren. So etwa steht von Anfang an fest, dass Leno, der in der Schule zum Paten von Adib bestimmt wird, alles daran setzt, seinem Schützling das Leben schwer zu machen. Unter den Augen der Lehrerschaft, der nichts auffällt.
Daniel Höra nimmt sich einem wichtigen Thema an und zieht interessante Parallelen. Er geht mit dem Konzept des Romans einen spannenden Weg, kann aber letztlich die Erwartungen nur begrenzt erfüllen. Selbst Jugendliche dürften ob der servierten Geschichts-Brocken nicht ganz satt werden, sondern wünschten sich mehr Nähe zu den Figuren, mehr Lebendigkeit und vor allem deutlich mehr Konturen, die dem Roman die Tiefe geben, die ihm an sich gebührt. Dennoch lohnt sich die Lektüre durchaus – auch für Erwachsene – wird doch hier einmal mehr deutlich, dass sich nicht nur die Geschichte teilweise wiederholt.
Auch die Schicksale von Flüchtlingen bleiben sich – unabhängig von der Herkunft und vom Grund zur Flucht – in vielem gleich.
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