Unterleuten
Juli Zeh begibt sich in ihrem Roman Unter Leuten unter die Leute des Dorfes Unterleuten. Dies geschieht sehr authentisch und detailgetreu. Kein Wunder, wohnt doch die Autorin selbst auf dem Land. Dies mag ihre genaue Beobachtung von scheinbaren Nebensächlichkeiten erklären.
Unterleuten liegt abgelegen von Lärm und Stress zwischen Beutel und der Schiefen Kappe. Die Namen sind malerisch und wecken unwillkürlich Assoziationen einer idyllischen Landschaft. So mag die Schiefe Kappe vermutlich uneben sein. Auch die ausführende Straße, gesäumt von Bäumen, lässt vertraute Bilder von bekannten Alleen im Kopf erscheinen.
Unter Leuten knüpft an den Wunsch vieler Städter an, sich auf dem Land niederzulassen. Fern der Hektik und Anonymität einer Großstadt. In Unterleuten weiß jede von jedem, wo er wohnt, wer mit wem wie verwandt ist und welchem Beruf nachgegangen wird. Zugezogene werden als die Neuen betitelt und entsprechend skeptisch beäugt. Der Roman erzählt teilweise angenehm leichtfüßig von den alltäglichen Problemen der Dorfbewohner. Die Neuen müssen sich behaupten. Der Nachwuchs sehnt sich in die Stadt, wird jedoch durch Pflichtgefühl zurückgehalten. Alteingesessene machen sich das Leben gegenseitig schwer oder leicht, durch Gefallen, Rache und Dickköpfigkeit.
Dabei werden alle Geschehnisse von zwei Konflikten umrahmt. Zum Einen ist dort ein Streit zwischen Kron und Gombrowski. Beide sind in Unterleuten aufgewachsen und haben sich hassen gelernt. Allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Dies stellt sich für den Lesenden jedoch nur langsam heraus. Die Protagonisten selbst erfahren es nicht. Sie „wissen“ jedoch, warum der andere der Feind ist. Auf der anderen Seite bedroht die Modernität die dann noch nicht so ganz vorhandene Idylle. Es soll ein Windpark in Sichtweite des Dorfes gebaut werden. Ein Investor und die Regierung sind beteiligt, wogegen sich selbstredend mit allen Kräften gewehrt wird – oder eher gewehrt werden will. Einsicht und Ohnmacht lösen rasch die Wut und Empörung über dieses Projekt ab. Da keine andere Wahl bleibt, wird es schlicht so gut wie möglich zu eigenen Zwecken genutzt. Vorteile werden verhandelt, Abmachungen getroffen und Versprechen ausgesprochen. Nicht alles davon wird in Realität verwandelt werden, wodurch die ewig währenden Zerwürfnisse des Dorfes neu befeuert und gefestigt werden.
Stilistisch bedient sich Juli Zeh eines sehr passenden Mittels. Sie lässt alle Beteiligten zu Wort kommen. In jedem Kapitel erzählt eine andere Person. Sie oder er schildert die Situation aus der eigenen Sicht, stets in Ich-Perspektive. So werden Gedanken, Eindrücke und Beweggründe ungefiltert und unmittelbar an den Lesenden herangetragen. Die Schilderungen des Erzählenden beinhalten dabei allzu oft Ereignisse mit zweiten und dritten Personen. Über deren Absichten gern spekuliert wird, ohne sich dieser Spekulation bewusst zu sein. Annahmen werden als Tatsachen wahrgenommen, wodurch die Leserschaft rasch erkennt, weshalb Kron und Gombrowski das Dorf spalten und nicht zueinanderfinden werden.
Elf Personen kommen also immer wieder zu Wort, manche sehr oft, andere seltener. Elf Namen, die sich gemerkt werden sollten, um nicht durcheinander zu geraten. Als Lesender gewinnt man durchaus den Eindruck, einige Bewohner Unterleutens gut kennenzulernen. Teilweise werden sich gegenseitig schreckliche Dinge angetan. So wird beispielsweise ein kleines Mädchen entführt. Oder ist es weggelaufen? Je nach Erzähler variiert der Sachverhalt. Trotz durchaus erschütternder Taten, kann kein Bewohner Unterleutens als unsympathisch beschrieben werden. Die individuellen Lebens- und Handlungsweisen sind (leider) gut nachvollziehbar, zumindest aus Sicht des Erzählenden. Dadurch werden anfangs aufgebaute Abneigungen gegen einzelne Bewohner niedergerissen und teilweise durch Verständnis oder auch Mitleid ersetzt. Gleichzeitig erwacht dabei eine gewisse Traurigkeit über die eingeschränkten Möglichkeiten der Bewohner, die Geschehnisse zu betrachten und zu bewerten. Vollkommen unreflektiert werden Vermutungen zu Wahrheiten erhoben und diese wiederum Grundlage zur Meinungsbildung und zum Handlungsbedarf.
So bleiben die Menschen in Unter Leuten gefangen, in ihrem eigenem Kreis, was sich als Leben tarnt. Ausbrechen und entkommen scheint kaum möglich. Dies ist daran zu erkennen, dass auch die Zugezogenen der Handlungslogik des Dorfes verfallen. Dabei waren sie anfangs so erleichtert und fröhlich im Dorf angekommen. Sorgen und Stress scheinen in der Großstadt geblieben zu sein. Doch um in Unterleuten bestehen zu können, um eigenen Träume zu verwirklichen, steigen sie in das Karussell aus Tücke und Revanche ein.
Bleibt nur zu hoffen, dass es Juli Zeh in ihrem Wohnort besser ergeht als ihren Protagonisten. Solch eigentümliche Verstrickungen sind ihr nicht zu wünschen.
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