Liebeserklärung als Selbstgespräch
Alternde Schriftsteller sind – speziell. Die einen befassen sich mit dem Tod (Franz Hohler, Gleis 4), andere versuchen sich, längst auf der Zielgeraden befindlich, an etwas Pornografischem (Nicholson Baker, Das Haus der Löcher) und wieder andere werden - ja wie denn? Unverständlich? Kryptisch gar? Lehnen sich wortgewandt aus dem Fenster, so weit allerdings, dass die Worte zu purzeln beginnen und am Ende nichts mehr von dem ist, was einmal war.
Martin Walser, fürwahr kein Freund des Purismus, hat mit „Statt etwas oder Der letzte Rank“, ein Alterswerk vorgelegt. Wieder eines, nach „Ein sterbender Mann“ (2016). Ein Alterswerk, das eine wunderschöne Geschichte sein könnte und sich letztendlich doch im Wortgeflecht verliert. Schon der Titel seiner neuesten Veröffentlichung ist eine Herausforderung. Walser, wahrlich ein Schnelldenker und Meister des Wortes, hat - nachdem sein Werk mit unmerkbarem Titel den Markt erreichte - immer wieder erklären müssen, was es mit dem Titel auf sich hat. Dabei verhält es sich hiermit ähnlich, wie ein Fragezeichen in der Überschrift eines Zeitungsartikels. Dann heißt es laut und richtig: „Sind Zeitungen nicht dafür gedacht, aufzuklären, anstatt Fragen zu stellen?“ Sicher: Zeitungen haben eine andere Funktion als schöngeistige Texte, aber sollte nicht wenigstens der Buchtitel, das, was über allem steht, quasi die Krönung ist, verständlich sein?
Nun gut, Titel hin oder her. Martin Walsers Buch ist – zunächst einmal – lesenswert. Schon der Sprache wegen. Walser, Autor alter Schule, ist kein Schreiberling, sondern ein Schriftsteller, ein vielfach ausgezeichneter zudem. Seine Werke sind durchdacht, auch wenn die meisten an die Erfolge etwa eines Günther Grass nicht heran reichten (was keine Lobhudelei in Richtung Grass bedeutet). Walser jongliert mit den Worten, spielt mit ihnen, verleiht ihnen neue Bedeutungen und lässt sie sterben, bei nicht Wohlgefallen. Was so leicht daher kommt, scheint schwere Arbeit zu sein, zumindest leidet die Geschichte unter der sprachlichen Finesse.
„Statt etwas oder Der letzte Rank“, scheint ein Rückblick zu sein, eine Draufsicht und eine wage Zukunftsvision auch. Der Autor berichtet über sich selbst, wie eigentlich ein wenig „Selbst“ in jedem seiner Romane steckt. Hier allerdings blickt er zurück und hinterlässt unglaublich viele Fragezeichen. Hingegen antwortet er nicht. Er lässt alles offen, lässt die größtmögliche Freiheit zur Interpretation, lässt nachdenken, lässt ahnen und hinterlässt den Leser im freien Fall.
„Statt etwas oder Der letzte Rank“ ist kein Roman im eigentlichen Sinne. Es ist eine Mischung aus einem Fragenkatalog und Lyrik im Stile eines zynischen Erich Kästners. Dann etwa, wenn er über den Winter sinniert: „Der Winter hat es auch nicht leicht – sich gegen das Fernsehen zu behaupten – Schon bevor wir atmen, werden wir gezählt – wer ausschert, ist erledigt. Aufpasser gibt es mehr als je zuvor. Wir sind eine Tugendrepublik – Was gut ist und was böse, sagt jetzt laut – der Soziologe.“
Wo bleibt denn da das Positive, Herr Walser? Es ist durchaus vorhanden, gespickt mit feinem Humor. Walser nimmt sich selbst nicht zu ernst. Wenn er etwa schreibt: „Gewissensbisse? Dann ist dein Charakter deinen Taten nicht gewachsen!“ Ertappt, Walser hat sich bei Nietzsche bedient, bei Zygmund Bauman die „Freund-Feind-Schemata“ angesehen, von Adorno gelernt, von Hegel und so weiter und so weiter.
Aber das macht nichts. Ein Martin Walser darf das, zumal er alles geschickt miteinander verflicht und nie versucht, fremde Gedanken als die seinen auszugeben.
Martin Walser scheint auch in seinen Spätwerken unzugänglich zu sein. Ein Eigenbrödler, einer der weiß was er kann, der kann und nichts davon wirklich einfach nur so preisgibt. Dem Leser Traktate um die Ohren haut und sie dann im Regen stehen lässt. Lebenslänglich unzugänglich – dieser Walser. Aber sehr schön geschrieben.
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