Die fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens
- S. Fischer
- Erschienen: Januar 2017
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- Berlin: S. Fischer, 2017, Seiten: 640, Originalsprache
Marathon der Ängste und Ungewissheiten
Moritz fühlt sich von seinem Leben verlassen, die Freundin ist weg und der Job erscheint ihm nur noch stumpf und blutlos. Nichts bewegt ihn, alles ist ohne Bedeutung und ohne Weg in die Zukunft. Er macht eine Krise durch, muss sein Dasein vielleicht neu ausrichten oder etwas neues anfangen. So würden es die meisten Leute beurteilen, würden wohl versuchen ihn aufzumuntern und anzutreiben. Doch Moritz hat wenig Freunde und besitzt noch weniger Initiative, folgt lieber seinem drögen Alltag, den er nicht mag und nicht will, und versenkt sich in seinen eigenen Gedanken. Er ist in sich gekehrt, ein Einzelgänger. Wenn er über die anderen Menschen nachdenkt, ihren Lebensstil verurteilt, ihre Oberflächlichkeit und Beliebigkeit anprangert, fühlt er sich gut und mit einer Rechtfertigung in der Welt ausgestattet. Meistens schaut er nur aus der Entfernung zu, mischt sich nicht gern ein und ist zufrieden damit, am Rande zu stehen und nur Betrachter zu sein, anstatt selbst teilzunehmen. Das ist ihm angenehm, so kann er die anderen analysieren, ihre Fehler und Unzulänglichkeiten beobachten. Moritz ist nicht nur in sich gekehrt, sondern auch mit einem finsteren Gemüt versehen, jemand, der schwer mit anderen, aber noch schwerer mit sich selbst auskommt.
Den ersehnten Wandel bringt dann auch nicht Moritz selbst, sondern ein alter Freund aus Studienzeiten, der inzwischen Filmregisseur ist und nun ein Projekt aufzieht, bei dem er die Hilfe von Moritz gebrauchen könnte. Natürlich sagt dieser sofort zu, er hat doch nichts in seinem Leben, das ihm wichtig ist und ihn daran hindern würde, sich auf ein dubioses Filmprojekt einzulassen. Es stört ihn auch nicht, dass so wenig an diesem Projekt ausformuliert und geklärt ist, vieles noch im Vagen liegt. Es soll ein Horrorfilm werden, so viel steht fest und mehr muss Moritz auch nicht wissen, denn wie er dem Leser erklärt, hatte er schon lange den Wunsch, in einem Horrorfilm mitzuspielen. Die Vorstellung, darin einen sehr gewaltsamen Tod zu sterben, gefällt ihm besonders.
Zuerst finden Treffen in Ulm statt, dort versammeln sich die Teilnehmer des Projektes in einem Hinterzimmer und schaffen die Grundlage für den Film, indem sie von ihren tiefsten Ängsten berichten, sich seelisch vor den Anderen entkleiden und sich verwundbar machen. Sie steigen auf die Bühne, treten an das Mikrofon und berichten. Über die Angst allein zu sein, verlassen zu werden, im Schlaf ein grauenhaftes Verbrechen begangen zu haben, Qualen und Schmerzen zu erleiden. Die Liste ist lang, über Wochen und Monate trifft sich die Gruppe. Moritz notiert dabei alles, was gesagt wird, legt ein Archiv an und liest immer wieder in den Aufzeichnungen. Er wird zu einem Kenner der Ängste der Gruppe. Der Leser spürt seine Angst davor, ausgeschlossen zu werden, nicht alles zu sehen und zu erfahren, was vor sich geht.
Zusätzlich zu den Erzählungen der Ängste werden in dem Hinterzimmer in Ulm Horrorfilme angeschaut, mit denen der Regisseur seinen Teilnehmern ein Gefühl für das Thema und seine mögliche Umsetzung vermitteln möchte. Später kommt auch noch ein Folterwerkzeugkasten hinzu, damit die Empfindungen nicht nur im Bereich der Sprache verbleiben. Weder für Moritz noch für die anderen ist das ein Problem. Sie sind mit Schmerzen vertraut.
Als es endlich mit den Dreharbeiten losgeht, ist Moritz erleichtert. Er hatte sich schon Sorgen und Vorwürfe gemacht, hatte sich überlegt, warum er wohl nicht eingeladen und ausgeschlossen wurde. Der wichtigste Teil seines Lebens war in eine Phase eingetreten, die er nicht kontrollieren konnte und er fühlte sich leerer als zuvor. Doch dann kommt der Anruf, der Regisseur gibt ihm Anweisungen, wann und wo es mit den Dreharbeiten zum Horrorfilm seinen Anfang nehmen wird. Begeistert erklärt sich Moritz mit allem einverstanden.
Roman Ehrlich zeichnet in seinem neuen Buch ein ausführliches, detailliertes, zu lang geratenes Psychogramm von seinem Protagonisten Moritz, dessen Ängste und Sorgen regelmäßig zur Schau gestellt werden, aber wenig innere Dynamik und somit wenig Überraschung für den Leser beinhalten. Moritz, der sich aus der Gemeinschaft ausschließt, aber doch dazugehören möchte, der die Dazugehörigkeit der anderen infrage stellt und Ruhe in den vielfältigen Ängsten findet, dieser Moritz treibt durch die Geschichte, die aus vielen kleinen Erzählungen, Filmkommentaren und Traumsequenzen besteht, sich mitunter wenig romanhaft gibt. Das große Ganze geht dabei verloren, das Buch lebt mehr von den privaten Angstgeständnissen als von seiner Gesamtgröße. Moritz kommt einfach nicht voran. Es ist ein unterhaltsames, ungewöhnliches Buch, so fragwürdig und manchmal brillant wie die Vorbereitungen und Dreharbeiten zum Horrorfilm.
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