Warum sollte er aufstehen?
Das ist doch die reinste Oblomowerei! Wie er mittags um zwölf noch immer oder schon wieder im Bett liegt, noch nicht gefrühstückt hat, sich noch nicht gewaschen und angezogen hat. Dreckig und verstaubt ist das Zimmer, in dem er liegt. Abgestanden und alt wirkt alles. Der Diener Sachar hält nicht viel von Reinlichkeit, haut sich lieber selbst aufs Ohr oder geht vors Tor, um mit den anderen Bediensteten zu schwatzen. Seine Kleidung abgewetzt und speckig. Trotzdem trägt er die Nase hoch, denn sein Herr ist jemand, hat Namen und Einkünfte, kann es sich leisten den ganzen Tag zu verschlafen und nicht vor die Tür zu gehen. Müßig und unnütz kann er die Tage zubringen, es gibt für ihn keinen Grund sich anzustrengen, sich aufzuraffen und die Ärmel hochzukrempeln. Vom Bett wechselt er zum Diwan, dann zum Tisch, um eine Kleinigkeit zu essen und Kaffee zu trinken, und dann wieder zurück ins Bett, damit er sich in Ruhe Gedanken über dieses und jenes machen kann. Er hat doch Pläne, will die Wirtschaft seines Dorfes modernisieren und auch mal wieder ein Buch lesen. Aber dann kommt die Trägheit und Müdigkeit über ihn, raubt ihm die Kraft und bringt die guten Absichten zum Erliegen. Manchmal muss er mit Sachar streiten, weil Geld oder ein Stück Käse vom Vortag fehlt. Dann kommt ein Bekannter vorbei und plaudert eine Zeit lang. Ehe er sich versehen hat, schlägt schon die Stunde, zu der man essen wollte. Nach dem Essen muss dann wieder geruht werden und schneller als man denkt, ist der Tag vorbei und die Nacht bricht herein, die Augen werden schwer und er möchte sich keine Gedanken machen über die Probleme, die ihn im Verlaufe des Tages beschäftigten.
Oblomow ist nicht nur ein ausgesprochener Faulpelz, sondern ein unnützer Mensch. Nichts bringt er zustande. Die einfachsten Dinge sind zu viel für ihn. Sein Diener Sachar muss ihm die Stiefel anziehen, wenn es vorkommt, dass er die Absicht fasst, das Haus zu verlassen. Meist aber verbringt er seine Zeit im Haus bei vorgezogenen Vorhängen.
Als ihn ein Brief seines Verwalters erreicht, in dem dieser die Probleme im Dorf Oblomowka beklagt und dem Gutsbesitzer weniger Einnahmen in Aussicht stellt, fühlt sich der feine Herr völlig überfordert und weiß nicht, wie er auf die Situation reagieren soll. Schließlich lebt er von den Einnahmen aus Oblomowka. Ist aber nicht gewillt, dorthin zu fahren und sich um Lösungen zu bemühen, denn er versteht nichts von der Wirtschaft und hat Angst vor der Fahrt über die Landstraßen, die doch sehr feucht sein sollen. Lieber will er an etwas angenehmes denken, legt sich auf den Diwan und schließt die Augen.
Veränderungen in das schläfrige Leben Oblomows bringt sein Kindheitsfreund Stolz, der von der Natur mit viel Energie und Enthusiasmus gesegnet wurde. Er ist das Gegenstück zum faulen Gutsbesitzer Oblomow. Leben bedeutet arbeiten, sagt er gern und lacht dabei. Stolz nimmt seinen müden Freund bei der Hand und zerrt ihn aus dem Haus, bringt ihn unter Leute. Dann geschieht das Undenkbare: In Oblomows Brust regt sich etwas und die Lebensgeister erwachen.
Iwan Gontscharow schuf mit der Figur des Oblomow einen Klassiker der Literatur und ein Zeugnis der damaligen Zeit, da sich faule Gutsbesitzer auf Kosten ihrer leibeigenen Bauern ein schönes Leben machten. Die Oblomowerei ist seitdem zum Inbegriff für tatenloses Dasein geworden und hat auch seinen Platz in der deutschen Sprache gefunden.
Die Neuübersetzung von Vera Bischitzky wird ergänzt durch ausführliche Kommentare und Anmerkungen zu einzelnen Textpassagen. Die Übersetzerin legt darin dar, wie und warum sie sich für die eine und nicht die andere Lesart entschieden hat. Dadurch wird dem Werk eine ungewöhnliche Tiefe und dem Leser viele Einblicke ermöglicht, die er in anderen Fällen nicht hätte. Hinzukommt ein Anhang, der die schwierige Entstehungsgeschichte des Romans beschreibt und dabei auf Briefe des Autoren zurückgreift, um mit seinen Worten, die Verzögerungen und Zweifel darzustellen.
Oblomow ist ein Muss für Literaturliebhaber, so wie eine gemütliche Couch, auf der man gemütlich lesen und die äußere Welt vergessen kann.
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