Auf packender Bärenjagd in den Dolomiten
Am Fluss angeln, die Dolomiten betrachten und vor sich hinträumen – das ist die liebste Beschäftigung des 12-jährigen Domenico, der mit Begeisterung die Schule besucht und eifrig seine Lehrerin mit guten Leistungen zu beeindrucken versucht. Tatsächlich hat Domenico große Pläne: Nach der Schule möchte er die Universität besuchen, ein außergewöhnliches Leben führen und große Taten vollbringen. Doch sein Vater Pietro sieht das anders. Für den Tischler zählt nur harte Arbeit und, seit dem Tod von Domenicos Mutter, regelmäßiger Alkoholkonsum. Seinem Sohn bringt er dabei nur wenig Aufmerksamkeit entgegen, und wenn, dann in Form von Jähzorn und Gewalt. Die Dorfgemeinschaft hält nicht viel von dem Dazugezogenen und straft ihn weitestgehend mit Missachtung. Doch dann wittert Pietro seine Chance, sich den Dörflern zu beweisen. Ein riesiger Bär macht seit einiger Zeit die Gegend unsicher und tyrannisiert die verängstigten Gebirgsbewohner. Pietro wettet, dass er das Raubtier erlegen kann und macht sich mit seinem Sohn auf die Jagd. Genau das Abenteuer, das sich Domenico immer gewünscht hat. Und ganz nebenbei lernt er in dieser Extremsituation eine sanftere Seite seines Vaters kennen, von der er bis dahin keine Ahnung hatte.
Der Italiener Matteo Righetto hat sein Erstlingswerk Anfang der 60er Jahre im italienischen Teil der Dolomiten angesiedelt. Ein atmosphärischer Schauplatz, dem der Autor mit einer beeindruckenden Sprachgewandheit Rechnung trägt. In diesem Text wälzen sich keine detailverliebten Beschreibungen durch die Seiten. Vielmehr sind es präzise und wohlüberlegte Formulierungen, die die Szenerie auf den Punkt bringen, knapp und dennoch tiefgründig. Hinzu kommen klar arrangierte Szenen und ein fachkundiger Spannungsaufbau. Hervorragende Voraussetzungen für eine literarische Bärenjagd.
Die bündige Erzählweise kommt auch den Figuren zugute. Hier beweist Righetto besonderes Feingefühl für die inneren Belange seiner Charaktere und sorgt mit zurechtgefeilten Dialogen für eine kurzweilige Lektüre, die sich dennoch dank der sprachlichen Sorgfalt bestens einprägt. Besondere Aufmerksamkeit erfährt dabei Domenicos Gefühlswelt. Trotz auktorialem Erzähler bleibt Righetto immer dicht an den Gedanken, Emotionen und Ängsten des Jungen, wodurch nicht zuletzt auch Pietros Sinneswandel greifbar wird. Je gefährlicher die Situation und je näher die Jäger dem Bären kommen, desto näher kommt Domenico seinem Vater, erfährt mehr über die Vergangenheit seiner Eltern und lernt Pietro einen ganz neuen Respekt entgegenzubringen. Die Jagd auf den Bären gerät so zur sinnbildlichen Annäherung zwischen Vater und Sohn, ohne Gefühlsduselei dafür mit viel unterschwelliger Spannung.
Gleichzeitig ist es gerade dieser Moment des plötzlichen Umschwungs Pietros, der etwas unscharf bleibt. Sobald er auf die Wette eingeht und einen Fuß in die Wildnis setzt, stellt sich leider etwas zu überstürzt der emotionale Wandel ein. Der abrupte Bruch zwischen anfangs etabliertem Vater-Sohn-Konflikt und plötzlicher Offenheit Pietros mit Domenicos ungebrochener Liebe zu seinem Vater, stellt dannn doch eine deutliche Diskrepanz zu der ansonsten gründlichen Erzählweise dar.
Trotzdem: Matteo Righetto etabliert sich mit seinem ersten literarischen Versuch als wahres Schreibtalent. Mit Gefühl, Spannung und Sprachfertigkeit bekommt man hier ein gelungenes Abenteuer mit Tiefgang geboten.
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