Die erstaunliche Familie Telemachus

Die erstaunliche Familie Telemachus
Die erstaunliche Familie Telemachus
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Julian Hübecker
931001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2018

Die Pflicht verspeist den freien Willen zum Frühstück.

Einst war die Familie Telemachus gefeiert für ihre übernatürlichen Darbietungen. Doch nachdem sie in ihrer letzten TV-Show als scheinbare Betrüger entlarvt werden und die Mutter wenige Monate danach stirbt, zieht sich die Familie aus dem Showgeschäft zurück. Von nun an haben die einzelnen Familienmitglieder mit alltäglichen Problemen zu kämpfen, nichtsahnend, dass sich eine Katastrophe anbahnt.

Eine außergewöhnliche Familie mit ungewöhnlichen Fähigkeiten und viel Herz

Die erstaunliche Familie Telemachus – als diese begeisterten sie die Massen in den 1970ern bei Fernsehauftritten. Jeder von ihnen zeichnet sich durch besondere Begabungen aus: Während Vater Teddy ein geschickter Trickbetrüger ist und daher keine übernatürlichen Fähigkeiten hat, wird Mutter Mo zur ihrer Zeit als mächtigstes Medium bewundert und ist sogar als Spionin für den Geheimdienst tätig. Ihre Tochter Irene ist ein wandelnder Lügendetektor, während ihr Sohn Frankie über eine schwache Form der Telekinese verfügt. Die Fähigkeit des jüngsten Sprosses, Buddy, ist dagegen für niemanden so recht offensichtlich, bis er eines Tages, während des letzten TV-Auftritts, einen Panikanfall erleidet. Nur Mo erkennt seine Begabung: die der zukünftigen Erinnerung. Der kleine Junge musste in seiner Vision mit ansehen, wie seine Mutter verstirbt. Von da an wird nichts mehr so ein wie zuvor.

Fast 20 Jahre später, Mitte der 1990er, verliert Irene ihren gut bezahlten Job und muss mit ihrem jugendlichen Sohn Matty zurück ins elterliche Haus ziehen, da sie die Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Matty indes hat etwas ganz Besonderes von seiner Großmutter geerbt: die Fähigkeit der Astralreise. Währenddessen darbt Teddy seinem Dasein als Rentner, treibt Buddy mit seinen sinnlosen Aktionen die ganze Familie in den Wahnsinn und sieht sich Frankie unter dem ständigen Druck seiner eigenen Familie zu beweisen, dass er kein Versager ist. Was nur Buddy weiß: Alles, was seit dem Tod seiner Mutter passiert ist, soll auf einen ganz bestimmten Tag vorbereiten - den 4. September. Nach diesem Tag sieht Buddy nichts mehr, weiß also nicht, wie er enden wird. Er weiß nur, dass vorher bestimmte Dinge passieren müssen, damit der Tag ein gutes Ende nimmt.

Wie eine Familie ein ganzes Buch füllen kann und den Leser in ihren Bann zieht

Wenn ich die Bewertung dieses Buches einleiten sollte, dann damit, dass es ein absolutes Überraschungspaket ist! Bereits das Cover entführt den Leser in die 1970er Jahre, in dem die Hälfte des Buches spielt. Mit seinen grellen Farben ist es ein Eyecatcher im Bücherregal. Die Beschreibung auf dem Buchrücken ist nicht sehr aussagekräftig, weshalb auf den Inhalt nicht geschlossen werden kann. Umso überraschter war ich mit jeder fortlaufenden Seite; denn die Geschichte ist grandios!

Vor allem der flüssige Schreibstil von Daryl Gregory hat mich überzeugt. Denn obwohl einige Zeitsprünge vorhanden und viele Verknüpfungspunkte (sei es auf zeitlicher oder der Handlungsebene) im Kopf zu behalten waren, war der Schreibstil deutlich und klar. Es wird abwechselnd aus den jeweiligen Perspektiven verschiedener Familienmitglieder erzählt, da jeder von ihnen seinen Teil zum finalen Tag beiträgt. Abwechselnd wurde zudem zwischen den 70ern und 90ern hin- und hergewechselt. Was nach einem absoluten Chaos klingt, war alles andere als das. Gregory hat es geschafft, alles nachvollziehbar zu verbinden, ohne den roten Faden aus den Augen zu verlieren.

Besonders liebevoll ist der Autor mit der Gestaltung der Charaktere umgegangen. Ich habe mich in die ganze Familie absolut verliebt, wenngleich Frankie dumme Entscheidungen traf und Teddy oft arrogant und ignorant wirkte. Vor allem die Entwicklung von Irene und die Verwirklichung von Buddys Plan haben Spaß gemacht, sie zu verfolgen. Am liebsten würde ich jedem einzelnen Charakter eine einzelne Bewertung schreiben, da jeder von ihnen seine eigene klar hervorstechende Persönlichkeit hat, jeder seine Schwächen und Stärken und jeder von ihnen Entwicklungen durchläuft – etwas, das viele Autoren selbst in mehrbändigen Reihen missen lassen.

Wenn ich etwas negativ kritisieren müsste, dann dass es an machen Stellen etwas langatmig erscheint und hätte gekürzt werden können. Für manche mögen diese Abschnitte dazugehören – ich bin da etwas zwiegespalten. Zum einen gaben diese den Protagonisten mehr Raum zum Agieren, zum anderen haben mich die Stellen das Buch zwischendurch weglegen lassen.

Dennoch war es für mich ein ganz großes Lesevergnügen, eine literarische Überraschung und mit Sicherheit nicht das letzte Buch des Autors.

Fazit:

Trotz kleiner Längen zwischendurch ist es für mich ein Jahreshighlight. Vor allem die Eigenheiten und Entwicklungen der Protagonisten sind hervorragend. Ich empfehle das Buch allen, die gerne etwas Übernatürliches lesen, ohne, dass es den Inhalt zu stark bestimmt.

Die erstaunliche Familie Telemachus

Daryl Gregory, Eichborn

Die erstaunliche Familie Telemachus

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