Ohne gesellschaftliche Akzeptanz kann Integration nicht funktionieren.
Vor allem seit Erdogans Streben nach einem Präsidialsystem sowie dem Putschversuch gegen ihn 2016, steht das deutsch-türkische Verhältnis auf der Kippe. Besonders groß war der Aufschrei, als viele Deutschtürken sich offen für Erdogan aussprachen und auf die Straße gingen. Heute leben fast drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln in Deutschland – man kann sie also als feste Größe bezeichnen. Warum wird das Verhältnis der Türkei mit Deutschland dennoch immer problematischer? Mit dieser Frage beschäftigt sich Can Merey, deutscher Journalist mit türkischen Wurzeln, dessen Vater einst als angehender Student nach Deutschland kam.
„Aus deutscher Sicht waren die Gastarbeiter Mitbürger mit Verfallsdatum, die sich bald wieder von dannen machen würden.“
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Deutschland bestrebt, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Im Zuge dessen wurden viele ausländische Gastarbeiter, vor allem solche aus der Türkei, dankbar aufgenommen. Viele blieben, machten Deutschland zu ihrer Heimat und gründeten hier eine Familie. Mereys Vater Tosun kam bereits vor dieser Welle an, studierte in Deutschland und blieb. Nun, rund sechzig Jahre später, fällt sein Resümee kritisch aus und seine Meinung spiegelt das vieler Deutschtürken wider: „Das Schlimme ist, immer wieder vermittelt zu bekommen, als Mensch weniger wert zu sein.“ Und das, obwohl er sich in seinem Verhalten und seiner Mentalität oftmals deutscher als so manchen Deutschen sieht.
„Integration sei aber nicht alleine Aufgabe der Zugewanderten, sondern auch der Gesellschaft.“
Can Mereys Buch über die Geschichte seines Vaters Tosun ist schonungslos und ehrlich. Aufgeteilt in drei Abschnitte, sieht er dabei nicht nur Fehler auf deutscher Seite, sondern auch auf Seiten der zu Integrierenden. Im ersten Teil „Die erste Generation“ erzählt er die Geschichte Tosuns und mit welchen Widerständen er aufgrund seiner Herkunft zu kämpfen hatte. In „Die zweite Generation“ reflektiert er sein eigenes Leben - vor allem als Journalist mit türkischen Wurzeln - und auf welche Konflikte er dabei gestoßen ist. Auch um seine eigene Familie geht es, um seine Kinder, die bewusst keine türkischen Namen bekommen haben; und um seine türkische Identität, die sich so viel mehr von der deutschen Seite unterscheidet. Im abschließenden Teil „Entfremdung“ geht es um die Beziehung zwischen der Türkei und Deutschland. Dabei geht Merey vor allem auf Erdogans Politik der letzten Jahre ein, aber auch auf die politische Landschaft in Deutschland, wobei die AfD natürlich mit ins Visier gerät. Am Ende zieht er Bilanz und kommt zu einem Schluss, der sich aus der Erfahrung seines Vaters, aber auch der politischen Ereignisse ergibt.
„Aber der größte Feind sind nicht die Nazis, sondern rassistische Gefühle, die unterdrückt werden, weil man weiß, dass es sich nicht schickt, rassistisch zu sein.“
Nicht zuletzt der Titel „Der ewige Gast“ sagt aus, wie sich die Situation der Deutschtürken zum Teil immer noch darstellt. Doch der Autor verteufelt Deutschland nicht, obwohl offensichtlich viel zu wenig für die Integration getan wurde. Stattdessen beleuchtet er den Umstand von allen Seiten. Dabei scheut er auch nicht davor zurück, Menschen sprechen zu lassen, die seine Meinung nicht teilen, sondern reflektiert kritisch und intelligent. Sein zugänglicher Schreibstil tut da sein Übriges, wobei der letzte Teil aufgrund des politischen Inhalts zwischendurch etwas schwer zu lesen ist; für Politikinteressierte sollte das allerdings kein Problem darstellen.
Ob man nun Türke, Deutscher oder anderer Nationalität ist: Das Buch ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis des deutsch-türkischen Verhältnisses. Es regt zum Nachdenken an, schockiert tatsächlich mehr als einen positiven Ausblick auf die Zukunft zu zeichnen. Gerade deshalb ist es ein wichtiges Buch, das hilft, zu verstehen und eine eigene Sichtweise auf ein komplexes Thema entwickeln zu können.
Fazit:
„Der ewige Gast“ ist ein Buch, das einfach nötig ist. Es geht im Wesentlichen um zwei Seiten, die seit vielen Jahrzehnten eine besondere Verbindung teilen. Dass diese Freundschaft am Zerbrechen ist, scheint auf der Hand zu liegen. Doch alle, die verstehen wollen und noch hoffen können, sollten zu diesem Buch greifen.
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