Höhere Wesen befahlen
- Hammer + Veilchen
- Erschienen: Januar 2017
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- Hamburg: Hammer + Veilchen, 2017, Seiten: 120
Schwarzmalen! und trotzdem lächeln
Seien Sie willkommen und treten Sie ein, sagt der Gastgeber und lächelt. Er ist zuvorkommend, freut sich über den Besuch. In seinen Augen zeigt sich Heiterkeit, aber auch Erschöpfung. Ole Petras eröffnet seinen Gedicht- und Liederband mit einer herzlichen und zugleich melancholischen Geste. Er lädt ein.
„Du bist immer willkommen hier/ du weißt das, wir warten/ die Sonne steht tief und der/ Kirschbaum im Garten/ verblüht und die Felder sind leer“
Diese Einladung zeugt von wahrhaftiger Gastfreundlichkeit, wie man sie nicht jedermann entgegenbringt. Es wird weder zu Fest noch zum Konzert eingeladen. Weder Buffet noch Kapelle wird es geben. Vielmehr wird ein wahrer Freund eingeladen. Einer, der immer willkommen ist, nicht nur zu den fröhlichen Anlässen. Ein Freund, den man gerne sieht, auch wenn es nichts zu feiern gibt. Auf ihn wartet man, wenn es notwendig ist. Denn seine Anwesenheit ist von so großem Wert, dass sie alles andere aufwiegt.
Zu einem schönen Fest lädt man alle Welt ein, man will die Freude mit vielen Menschen teilen. Aber wen lädt man ein, wenn es nichts zu feiern gibt, wenn die Sektflaschen geleert sind und die Feier vorüber ist? In seinem Willkommensgedicht breitet Petras die Arme aus und zeigt ein müdes Lächeln. Der Tag neigt sich dem Ende zu, die kalte und wenig erfreuliche Jahreszeit bricht an. Nur gute Freunde sind willkommen, wenn es wenig zu lachen gibt und wenig Freude in Aussicht steht. So herzlich wird man selten in einem Buch begrüßt. Selten ist ein Gruß so schwermütig und ermunternd zugleich.
Ein Melancholiker ist der Autor jedoch nicht. Solch eine Einstellung kann er sich schlichtweg nicht leisten in einer Welt, die ihm zunehmend düster und feindselig erscheint. Er ist in den Problemen der Zeit gefangen, nimmt sie und bricht sie auf. Dabei wird er mitunter sehr politisch und gesellschaftskritisch. Also kein weltfremder Dichter, der unter dem blühenden Apfelbaum liegt und den eigenen Gedanken nachhängt. Der Baum ist – wie bereits erwähnt – verblüht und der Dichter muss sich zu erheben. Er klagt den allgegenwärtigen Kapitalismus, Rassismus und Unmenschlichkeit an, aber auch politische Entwicklungen der Gegenwart.
„Mischt Politik mit Religion/ nennt Vater Staat und Gottes Sohn/ und wie der neue morgen riecht/ nach Dynamit und Munition“
„Den Reichtum, was wollt ihr – den Reichtum erhalten/ die Demokratie soll den Wohlstand verwalten/ die Aufklärung, ja, wenn es sein muß erkämpfen/ in Syrien pennen, auf Ausländer schimpfen“
Wo sind sie hin, die Werte der Aufklärung? Sie scheinen unter dem bunten, leuchtenden und schmackhaften Wohlstand begraben zu sein. Für sie kämpfen will niemand mehr. Lieber wiegt man sie in den Schlaf, wenn man sich den Themen Krieg und Vertreibung gegenüber sieht. Lieber schimpft und hetzt man, anstatt sich der Vernunft zu bedienen. Die Aufklärung und ihre Werte sind nur gut genug, um einen Krieg in der Ferne zu rechtfertigen, aber unangenehm, wenn man sich selbst im Spiegel betrachtet.
Ole Petras entnimmt dem wohlgefälligen Leben seine Grundwerte und wagt es, am Fundament zu rütteln. Er zeigt im aktuellen Kontext, was Goya im Schlaf der Vernunft einst darstellte: die dunkle Kehrseite des edlen, aufgeklärten Europäers. Menschenrechte und Vernunft werden beliebig hinzugezogen oder beiseite geschoben. Wohlstand und Bequemlichkeit ist den Leuten wichtiger als Aufklärung und Humanismus.
Höhere Wesen befahlen nennt sich der vorliegende Band. Es ist ein Verweis auf eines der bekanntesten Werke Sigmar Polkes – Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen! Polke war bekannt für seinen kapitalistischen Realismus, eine Kunstform, die sich der Oberflächlichkeit der Konsumgesellschaft annahm. Er prangerte Materialismus, aber auch das Erbe der nationalsozialistischen Ära an. Insofern war er ein Kritiker der Gesellschaft, so wie es Ole Petras sich in seinen Texten vornimmt.
Doch gibt es auch alltägliche Beobachtungen in diesem sehr vielseitigen Band, die sich mit einem Tag am Meer oder einem Besuch bei Subway befassen. Sie sind einfach und leicht zugänglich, stehen in mancher Hinsicht hinter den kritischen Texten zurück. Doch solche Probleme lassen sich nicht vermeiden, wenn viele verschiedene Textgattungen unter einem Dach zusammengebracht werden. Die Stimmung eines Abschnitts lässt sich nicht auf den nächsten übertragen. Die Leichtigkeit des einen Textes wirkt befremdlich neben dem dunklen, anklagenden Ton eines anderen Textes, eine Schilderung von Selfies nimmt sich merkwürdig aus, wenn sie auf eine zeitlose Betrachtung von Leben und Tod folgt. Insofern sei allen Lesern geraten, die Unterteilungen im Buch zu respektieren, nicht von Moritaten zu Alltagsbetrachtungen zu wechseln, ohne eine kleine Pause einzulegen.
„Denn lang ist das Dunkel der Nacht/ und kurz, viel zu kurz ist der silberne Tag“
Im Sinne Polkes – Schwarzmalen! - gibt Petras vielen Texten einen düsteren Anstrich. Jedoch lässt er es dabei nicht an Zuversicht fehlen. Stets gibt es einen Lichtblick. Mag das Dunkel auch stark und mächtig sein, das Licht erscheint umso schöner und edler.
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