' Ihre Körper in Gips festhalten '
Ein plastischer Künstler namens Jang Unhyong schafft Gipsabdrücke in seinem Atelier. Er bittet eine junge Dame mit Übergewicht regelmäßig zu ihm zu kommen, damit er von ihren feinen und dünnen Händen Abdrücke nehmen kann. Er trägt den flüssigen Gips auf und lässt ihn trocknen. Dabei entsteht durch eine chemische Reaktion im Gips große Hitze, die für die junge Frau durchaus unangenehm ist. Aber das ist Teil der Arbeit. Sie willigt ein und akzeptiert die schmerzvolle Hitze. Denn ihr gefällt das Interesse, das der Künstler an ihr zeigt. Aufgrund ihres Körperumfangs ist sie bei den Männern nicht sonderlich gefragt, sie ist eine Außenseiterin und steht meistens im Hintergrund. Die meisten Männer stürzen sich auf ihre gutaussehende, schlanke Freundin. Nur nicht der plastische Künstler. Er interessiert sich für sie und ihre Hände, will wieder und wieder Abdrücke von ihnen nehmen. Mehrfach fragt sie ihn, ob er pervers sei. Schließlich sei es nicht nachvollziehbar, dass sich ein Mann für sie interessiere. Aber nein, Jang Unhyong ist nicht pervers. Er findet einfach keinen Gefallen an den gewöhnlichen Frauen, denen die meisten Männer hinterhersehen. In die junge Dicke hat er sich jedoch verliebt. Von ihrem voluminösen Körper schafft er schließlich auch noch einen Gipsabdruck und gibt sich der Vorstellung hin, in dieser Hülle, die viel größer ist als er selbst, begraben zu werden. Manchmal steigt er in diesen „Sarg“ und schließt die Augen.
Dann verlässt sie ihn und zerschlägt etliche Gipsabdrücke in seinem Atelier. Sie verschwindet spurlos, lässt keine Nachricht zurück und meldet sich nicht. Eine Erklärung erhält der Künstler erst beim nächsten Wiedersehen. Da ist aus der Dicken eine überaus schlanke und hübsche Frau geworden. Eine Frau, wie sie dem gängigen Schönheitsideal entspricht. Nur glücklich ist sie nicht. Denn die schlanke Figur hat einen hohen Preis. Sie muss ihrem Körper Gewalt antun, um ihr Gewicht und die eigenen Ansprüche halten zu können. Nach wilden, unkontrollierten Fressattacken muss sie alles wieder hervorwürgen. Sie steckt sich die Hand in den Hals.
Während der Abwesenheit seiner einstmals dicken Geliebten lernt Jang Unhyong eine andere Frau kennen. Sie will von ihm einige Gipsabdrücke kaufen, um sie in teuren Eigentumswohnungen als Kunstwerke zu installieren. Sie ist Innenarchitektin und arbeitet für überaus wohlhabende Klienten, die Wert auf Eleganz und Luxus legen. Die Abdrücke der Hände gefallen ihr.
Natürlich überredet Jang Unhyong sie dazu, in sein Studio zu kommen und von sich Gipsabdrücke machen zu lassen. Ihre Hände sind es, die seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Eine kleine Narbe erkennt er an der Seite. Eine Abweichung von der Norm.
Der Künstler Jang Unhyong hat einen besonderen Blick auf die Körper der Menschen. Er sucht in ihnen nach Absonderlichkeiten. Dadurch offenbart er dem Leser eine Welt abseits des Gewöhnlichen. Viel Schmerz ist zu spüren in den Biografien der jungen Frauen, die sich auf ein Verhältnis mit Jang Unhyong einlassen. Sie mussten und müssen sich dem allgemein gewünschten Bild unterwerfen. Dafür missbrauchen sie ihre Körper.
Die Gipsabdrücke im Studio verewigen den Kampf, den die Frauen um ihre Körper führen, und zugleich sind sie Teil dieses Kampfes. Denn der Prozess, den sie durchlaufen müssen, ist ebenso Gewalt. Die Hitze, die beim Trocknen des Gipses entsteht, ist schmerzhaft. Aber die Frauen lassen den Künstler über ihren Körper verfügen und sind willens die Schmerzen zu ertragen. Am Ende dreht sich das Blatt und Jang Unhyong findet sich in einer ungewohnten Rolle wieder.
Erzählt wird die Geschichte durch Aufzeichnungen, die nach dem Verschwinden von Jang Unhyong an eine Autorin geschickt werden. Die Durchsicht der Blätter – so hofft es die Schwester des Künstlers – soll bei der Suche nach dem Verschwundenen helfen. Aber nichts deutet daraufhin, dass die Autorin in dieser Hinsicht behilflich sein kann. Auch gibt es Grund zur Annahme, dass Jang Unhyong freiwillig untergetaucht ist. Schließlich hatte er sich nie sonderlich wohl gefühlt innerhalb der normalen Gesellschaft. Vielmehr war er stets ein Außenseiter und Sonderling.
Fazit:
Han Kang ist mit Deine kalten Hände ein besonders einfühlsames und berührendes Buch gelungen. Es geht wahrhaftig unter die Haut, verwirrt und schreckt auf. Man kann den Gips förmlich spüren, ebenso die fatalen Schwingungen zwischen Jang Unhyong und den Frauen.
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