Ich hatte einen Traum

  • Berenberg
  • Erschienen: September 2018
  • 0

Carsten Regling (Übersetzung)

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Sebastian Riemann
801001

Belletristik-Couch Rezension vonJul 2019

Verletzliche, verzweifelte Kinder

Migranten aus Mittelamerika werden in den Medien oft als Bedrohung dargestellt. Sie ziehen gen Norden, wollen über die Grenze und am Wohlstand der US-Bürger teilhaben. Politiker wettern gegen sie und wollen eine Mauer bauen, um sich vor ihnen zu schützen. Sie sind eine Gefahr, verursachen großen Schaden an der Grenze und am System, das mit dem Strom der Migranten nicht umzugehen weiß. Viele Empörte ziehen es vor, diese vereinfachte Betrachtungsweise nicht zu hinterfragen, sie wollen Maßnahmen zur Abwehr und die Migranten auf dem Rückweg sehen. Dabei verschließen sie gern die Augen vor den Lebensbedingungen in Mittelamerika, einer Region voller Armut, Gewalt und politischer Instabilität.
Juan Pablo Villalobos gewährt nun Einblicke in diese komplizierte und mitunter erschreckende Situation. Nicht als Reporter, der aufklären will, nicht als Politiker, der Stimmen gewinnen will, sondern als Schriftsteller, der das Leben der Betroffenen verständlich und zugänglich machen möchte. Er will die Menschen und ihre Schicksale zeigen, will aus Migranten wieder reale Personen machen. Dazu hat er viele Interviews mit Jugendlichen geführt, die aus ihrer Heimat den Weg in den Norden antreten. Sie berichten ihm von den Schwierigkeiten und Hoffnungen, die sie begleiten, und er verwandelt ihre Geschichten in leicht zugängliche Literatur mit großem gesellschaftlichen Wert. Denn Villalobos zeigt in klarer Sprache, was gern unter den Teppich gekehrt wird.

Kriegsähnliche Zustände

In vielen Regionen Mittelamerikas herrschen weder Ordnung noch Gesetz, sondern vielmehr brutale Banden. Sie regieren selbstherrlich und willkürlich, treiben Schutzgeld ein, nehmen sich, was sie wollen. Sie terrorisieren die Bevölkerung. Es gibt keine Polizei, die es mit ihnen aufnehmen kann. Sie sind zu mächtig, verfügen über gute Einnahmequellen und allerhand Waffen. Skrupel kennen sie nicht. Die Jugendlichen, die sich später auf den Weg in Richtung USA machen müssen, werden von den Banden vor eine einfache Wahl gestellt: Entweder machst du bei uns mit oder wir bringen dich um. Es gibt keinen Verhandlungsspielraum, keine Diskussionen. Die Jugendlichen müssen sich entscheiden.
Die Geschichten, die Villalobos wiedergibt, erwähnen regelmäßig einen Verwandten der jugendlichen Migranten, der bereits von den Banden getötet wurde. Die Jungen und Mädchen wissen, wie ernst die Lage ist. Die Drohungen der Banden sind für sie echt und unmittelbar. In der Vergangenheit hörten sie schon ähnliche Warnungen und sahen wenig später ihre Tante, den Onkel oder Großvater sterben. Sie fliehen aus ihrer Heimat, da sie den Tod, der die Finger nach ihnen ausstreckt, gut kennen und zu fürchten wissen.

Die gefährliche Reise in den Norden

Die Zugverbindung von Mittelamerika an die US Grenze, am besten mit Sitzplatzreservierung und einem Kännchen Kaffee im Speisewagen – sie existiert nicht. Die Reise in eine bessere, sicherere Zukunft ist beschwerlich und überaus gefährlich. Die Jugendlichen müssen oft improvisieren, müssen sich mit den geringen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, durchschlagen. Viele von ihnen kommen nicht am Ziel an. In Mexiko werden sie überfallen oder entführt. Denn auch in Mexiko herrschen Banden und professionelle Drogenkartelle, die mitunter in den Menschenhandel verwickelt sind. Für sie sind die unbeholfenen, schutzlosen Jugendlichen aus Mittelamerika leichte Beute.
In der wohl einfachsten Geschichte im vorliegenden Band erzählt Villalobos von zwei Geschwistern, die per Anhalter durch Mexiko fahren und an einen vermeintlichen Helfer geraten, der sie in seinem Wagen mitnimmt. Während das Mädchen froh ist über die Autofahrt, schöpft ihr Bruder verdacht und fragt den Fahrer mehrmals nach dem Ziel seiner Reise. Aber dieser antwortet ihm nicht und fährt mit den beiden Kindern auf einer staubigen Straße in die mexikanische Wüste. Der Leser spürt die Naivität der verzweifelten Jugendlichen und ihre Schutzlosigkeit. Dann verschwinden sie in einer Staubwolke.

Das gelobte Land empfängt die Migranten nicht mit offenen Armen

Am Ziel ihrer Träume müssen die meisten jugendlichen Migranten weiterhin leiden. Sie sind nicht willkommen, werden von den Behörden schlecht behandelt, wie Verbrecher verhört und eingesperrt. Viele von ihnen hoffen auf eine Vereinigung mit ihren Eltern, die bereits in den USA leben und arbeiten. Zuerst aber müssen sie langsame und unbequeme Prozesse über sich ergehen lassen, bis die Autoritäten über ihren Fall entscheiden.

Fazit:

Das Leiden der Protagonisten scheint kein Ende nehmen zu wollen, da jede Etappe ihrer Reise mit großen Risiken verbunden ist. Es ist ein Kampf ums Überleben über mehrere Runden. Villalobos ist bei seinen Darstellungen um einen nüchternen Ton bemüht, da die Ereignisse für sich sprechen. Er stellt die schutzlosen und mitunter naiven Kinder in gefährlichen Situationen dar, erreicht die Leserschaft auf direktem Wege. Das Nebeneinander von Kindlichkeit und Gewalt bedarf dabei keiner überschwänglichen Sprache oder gewitzter Ausdrücke. Das Schicksal dieser jungen Grenzgänger besticht durch seine Nähe und unmenschliche Härte. Villalobos zeigt uns, was wir oft nicht sehen wollen. Sein Buch ist beunruhigend und aufwühlend, es ist wichtig in Zeiten der Ignoranz gegenüber fremdem Leid.

Ich hatte einen Traum

Juan Pablo Villalobos, Berenberg

Ich hatte einen Traum

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