Auf dem Seil

- Hardcover, 368 Seiten

Auf dem Seil
Auf dem Seil
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Carola Krauße-Reim
901001

Belletristik-Couch Rezension vonNov 2019

Auf dem Seil ist alles ein Balanceakt

Wenn eine so hochdekorierte Schriftstellerin wie Teréza Mora einen Roman vorlegt, kann der Leser von einem anspruchsvollen Lesegenuss ausgehen. So auch bei dem vorliegenden letzten Band aus der Darius-Kopp-Trilogie. Teilweise übergangslos wechselt sie von einem auktorialen Erzähler in die Ich-Perspektive des Darius Kopp. Der Leser kriecht förmlich in dessen Kopf, seine Gedanken (in seiner speziellen Ausdrucksweise) scheinen als die eigenen. Der Protagonist kehrt für den Leser sein Innerstes nach außen. Dieser „Bewusstseinsstrom“ ist bereits aus Werken von Virginia Woolf, James Joyce und Arthur Schnitzler bekannt. Jetzt hat auch Teréza Mora die Erzähltechnik perfekt umgesetzt. Auch wenn man die ersten beiden Bände der Trilogie nicht kennt, wird Darius Kopp, der dem Leser unvermeidbar nahe kommt, schnell zu einem Protagonisten, den man gut zu kennen scheint und den man gerne durch sein chaotisches Leben begleitet.

Darius Kopp versucht, wieder in die Spur zu kommen

Vor drei Jahren ist Flora, Darius Kopps große Liebe, gestorben. Dieses traumatische Ereignis hat den IT-Spezialisten völlig aus der Bahn geworfen. Er macht sich auf eine Reise ohne Ziel, nur mit dem Zweck, einen angemessenen Ort für Floras Asche zu finden. Schließlich landet Darius auf Sizilien, wo er sich als Pizzabäcker und Touristenfahrer versucht und endlich auch von Flora Abschied nehmen kann.

Darius Kopp ist ein Antiheld. In sich gekehrt, rundlich gebaut und tief in der Midlife-Crisis steckend, überfordert ihn die ganze Welt, und doch kann man seine Mut- und Perspektivlosigkeit nachvollziehen, denn vieles ist einfach der Trauer um Flora geschuldet. Aber seine Unentschlossenheit kann den Leser auch fast wütend machen. Manchmal möchte man ihn einfach schütteln und ihm sagen, dass er noch lebt und dieses Leben mehr von ihm verlangt als mutlos durch den Tag zu treiben.

Doch dann taucht seine 17-jährige Nichte Lore auf. Alleine und schwanger sucht sie ausgerechnet bei ihm Halt. Und - es funktioniert! Darius wacht endlich aus seinem Dämmerzustand auf, übernimmt Verantwortung, stellt sich den Aufgaben und kehrt mit Lore zurück nach Berlin. Lore fordert ihn, erzwingt Aktion und hilft ihm so mit ihrer Hilflosigkeit, wieder in die Spur zu kommen. Doch beide tanzen auf dem Seil - alles ist wacklig und muss ausbalanciert werden. Diese Stehversuche sind manchmal komisch, manchmal tragisch zu lesen und machen beide, Lore und Darius, zwar zu chaotischen, unkonventionellen, aber auch sehr sympathischen Personen.

Eine Geschichte über Trauer, Suche und Verantwortung

Terézia Mora porträtiert einen Menschen, dessen Handlungen streckenweise gewöhnungsbedürftig sind, der aber dennoch wirklichkeitsnah ist und manchmal erschreckend vertraut scheint. Die Trauer um einen geliebten Menschen, die Suche nach dem Lebenssinn und die Erkenntnis, dass man der Verantwortung für sich selbst und für hilfesuchende Menschen nicht entkommen kann, hat die Autorin meisterhaft im Leben des Darius Kopp verpackt. Zwar muss sich der Leser erst in den ungewöhnlichen Erzählstil einfinden, aber ist das geschafft, offenbart sich eine Geschichte, die anrührt, mit ihrem Konglomerat aus Verzweiflung und Hoffnung den Leser anspricht und sogar Mut macht. Darius schafft es nicht, vom Seil zu stürzen, und kehrt ansatzweise wieder in die Welt zurück – ein sehr positiver Schluss für diese teilweise tragische Erzählung.

Fazit

„Auf dem Seil“ ist kein Happen für zwischendurch, sondern eher das Hauptgericht im Lesemenu. Durch den Erzählstil kommt der Roman ganz ohne wörtliche Rede daher, was gewöhnungsbedürftig ist, doch auch den Reiz ausmacht. Es braucht Zeit, sich der Erzählung zu nähern und sich auf Darius Kopp einzulassen – doch dann wird man mit grandioser Literatur belohnt, die anspruchsvoll ist, aber für einen Leser, der mehr will als eine heruntererzählte Allerweltsgeschichten, einen ungetrübten Lesegenuss verspricht.

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