Wie wäre das, wenn man einen Geist fragen könnte, was er weiß?
Inmitten der drückenden Hitze Singapurs schließen zwei Mädchen eine ungewöhnliche Freundschaft: Circe, wohlbehütet und aus gutem Hause, und Szu Min, die in einem heruntergewirtschafteten, düsteren Haus mit ihrer distanzierten Mutter Amisa sowie ihrer Tante Yunxi, welche sich als Medium verdingt, zusammenlebt. Schnell fühlen sich beide durch ihr unattraktives Erscheinungsbild und ihren damit zusammenhängenden Außenseiterstatus verbunden. Doch ist diese Verbindung äußerst zerbrechlich: Szu Min ist oftmals finster gestimmt, depressiv, launisch, fast bösartig – und scheint immer wieder dasselbe auch von Circe zu denken. Nach dem Tod von Szus Mutter kommt es zum scheinbar endgültigen Bruch. Tatsächlich schien sich Szus Leben schon immer um ihre Mutter zu drehen, obwohl diese Mutter-Tochter-Beziehung wie von einer Wolke umhüllt war, in deren Zentrum ein rätselhaft finsteres Herz pochte. Wer war die geheimnisvolle Amisa, die in den 70ern als Hauptdarstellerin in einer obskuren Horrorfilm-Reihe geringe Bekanntheit erreichte, aber in ihrem Leben scheinbar immer unglücklich gewesen ist und ihrer Tochter nie genug Liebe zukommen lassen konnte?
"Sie war anstrengend und himmlisch zugleich: eine wunderschöne Frau, die ihrer Tochter jeden Tag aufs Neue das Herz brach..."
Die Beziehungsdramen, die in diesem Roman in der unerträglichen Hitze zu brodeln beginnen, spielen sich nicht nur zwischenmenschlich, sondern vor allem zwischen den Zeilen ab. Sharlene Teos sprachlicher Stil trieft dabei förmlich vor köstlicher Dunkelheit und nuancierter Abgründigkeit, sodass man sich zuweilen fast in einen Psychothriller versetzt fühlt. Gekonnt werden dabei drei Zeitebenen verwoben: eine davon schildert Circes Konfrontation mit der Vergangenheit in der nahen Zukunft; die zweite gibt Einblicke in Szu Mins Leben während der frühen 2000er und macht den Löwenanteil der Erzählung aus; die dritte beschreibt die Jugend von Amisa und ihre kurzlebige Filmkarriere während der späten 70er und frühen 80er Jahre inmitten des rasanten wirtschaftlichen Aufstiegs Singapurs vom Schwellenland zur Wirtschaftsmacht.
Sehr lebhaft werden dem europäischen Leser die Eindrücke im Schmelztiegel Singapur vermittelt. Der Stadtstaat beherbergt eine Mischung aus malaiischer, chinesischer, indischer und englischer Sprache und Kultur und mutet gleichzeitig exotisch als auch vertraut an. Der stete Wandel dieser Lebenswelt lässt sich anhand der Kontraste zwischen den erzählten Zeitebenen gut nachempfinden. Gleichzeitig werden Elemente des Magical Realism und des Gothic Horror aktiviert, was besonders für die Geschichte von Amisa angemessen ist: damals durfte sie in ihrer überirdischen, gefährlichen Schönheit auf der Leinwand einen Pontianak – in der indonesischen Folklore ein weibliches, vampirisches Geisterwesen, das aus großem Unglück geboren wurde und seine Opfer klauenbewehrt in den Tod reißt – verkörpern, später scheint sie fast selbst zu einem solchen Wesen mutiert zu sein. Dies schlägt sich sowohl in ihrer körperlichen Beschreibung nieder, als auch in ihrem von Desillusionierung getrübten Verhalten.
"Sie wollte so unbedingt jemand und etwas sein, nicht ein Niemand und ein Nichts..."
Der thematische rote Faden ist die Verarbeitung von innigen Beziehungen mit toxischen Menschen, von den daran geknüpften komplexen und widersprüchlichen Emotionen, von Narben, die niemals verheilen können, von Schönheitsbesessenheit und davon, wie Schmerz weitergegeben wird und sich verselbstständigen kann. Trotz dieser bedrückenden Schwere gehen Leichtigkeit, Zuversicht und Humor nicht verloren. Ab und an lässt Teo goldene Lichtstrahlen aufblitzen. Leider enttäuscht das Buch ein wenig auf der Handlungsebene: es gibt zwar einige unvorhergesehene Ereignisse, doch keine kontinuierliche Steigerung, und die Figuren bleiben ein Buch mit sieben Siegeln. So scheint der enigmatische Plot sich eher im Kreis zu drehen als irgendwo anzukommen, und der schwarze, emotionale Mittelpunkt bleibt mehr Ahnung als wuchtige Aussage. Sicher ist dies so intendiert und die subtile Zurückhaltung lobenswert, aber leider könnte es dazu führen, dass manch ein Leser am Ende etwas unbefriedigt zurückbleibt – ähnlich den hungrigen Geistern, die in den Seelen der Charaktere herumspuken.
Fazit
Sharlene Teos Debütroman löst einen Wunsch nach mehr aus, der innerhalb seiner knapp 320 Seiten nur bedingt erfüllt wird. Trotzdem ist Schöne Monster niemals langweilig und besticht durch ein faszinierendes Setting, mythologische Ausdruckskraft und beeindruckende sprachliche Raffinesse. Bei dem Potenzial ist sicher, dass diese Autorin mit jedem Werk weiter wachsen wird!
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