Ich weiß, ich habe verstanden...
Mitten in den Wirren des Ersten Weltkriegs: Alfa Ndiaye hält seinen besten Freund Mademba Diop, den er seinen Seelenbruder nennt, in den Armen und sieht das Leben aus ihm entweichen. Dreimal bittet Mademba Alfa dort im Schützengraben, seinem Leiden ein Ende zu bereiten, und dreimal bringt dieser es nicht übers Herz. Während die Schlacht um sie herum weitertobt, spielt sich ein kleines, menschliches Drama ab. Danach ist Alfa nicht mehr derselbe. Er beginnt mit nächtlichen Streifzügen in die gegnerischen Reihen, verschleppt während der Waffenpausen Feinde, weidet sie aus, und beendet dann – als Ersatzhandlung für die Bitte, die er seinem Freund abgeschlagen hat – mit einem sauberen Schnitt durch die Kehle ihren Schmerz. Als grausame Trophäe trennt er seinen Opfern eine Hand ab und verwahrt sie. Zunächst haben seine Kameraden Respekt vor ihm, dieser jedoch wandelt sich schon bald zu Angst. Wer ist dieser dëmm, dieser Seelenfresser, dieser Hexersoldat wirklich?
„Das Innere der Erde war nach außen gekehrt, das Innere meines Geistes war nach außen gekehrt…“
Einen solch fixen Handlungsrahmen wie obig beschrieben, bietet der Text selbst dem Leser zunächst nicht. David Diops erhellendes Nachwort ist äußerst hilfreich dabei, sich einen Kontext für den Kurzroman zu erschließen. Er berichtet darin von den Senegalschützen, die im Ersten Weltkrieg von Frankreich an der Front eingesetzt wurden. Ausgestattet mit Macheten, um der ihnen aufgrund ihrer Hautfarbe von vorneherein unterstellten Wildheit Ausdruck zu verleihen, sollten sie den Feind Furcht lehren und endeten oftmals als Kanonenfutter. Diop beschreibt in diesem Nachwort auch seine Inspiration und sein Anliegen mit dieser Anti-Kriegs-Erzählung; es ist also deutlich mehr als nur schmückendes Beiwerk.
In den eigentlichen Text fühlt man sich zu Anfang eher direkt „hineingeworfen“. Die Geschichte ist aus der Sicht von Alfa selbst erzählt, den der Tod von Mademba nicht mehr loslässt. Mehr und mehr scheint er daraufhin dem Wahnsinn zu verfallen. Erst beim zwangsverordneten „Fronturlaub“ in der zweiten Hälfte der Novelle erschließt sich dem Leser, dass sich Alfa die Schuld an Madembas Tod gibt. Mehr und mehr wichtige Hintergründe der Figur werden hier stückweise offenbar: es handelt sich um einen grundguten Jungen aus ärmlichen Verhältnissen, der in die Mühlen des Krieges geraten ist und keine Chance hatte, je unbeschadet wieder daraus hervorzugehen. Dies schlägt sich in der sehr simplen Sprache wieder. Außerdem arbeitet Diop mit ständig wiederholten Phrasen, was die sich im Kreis drehenden Gedanken eines gestörten Geistes authentisch nachbildet.
„Wenn ich aus dem Bauch der Erde stürme, ist es meine Entscheidung, unmenschlich zu sein, also werde ich ein kleines bisschen unmenschlich…“
Diese Wiederholungen machen den Text nicht gerade leicht verdaulich. Doch immer, wenn man davon übermannt zu werden droht, streut Diop poetisch aussagekräftige Sätze ein, die einem die Augen öffnen. Alfa wird ebenso wie die Gefallenen zum Opfer des Krieges, nur auf andere Art und Weise. Er geht an den menschenverachtenden Fundamenten der Kriegsmaschinerie zugrunde. Anhand seines Untergangs zeichnet Diop erschütternd nach, wie klassische Feindbilder – „Wir“ gegen „Die“ – konstruiert werden und im Angesicht des Todes diese künstlichen Ideologien jede Bedeutung verlieren. Dennoch gelingt es Diop inmitten all diesen Schreckens, einen Hoffnungsschimmer auszumachen – und zwar in der Gestalt tiefer, menschlicher Verbundenheit.
Fazit
Trotz der Kürze ist Nachts ist unser Blut schwarz alles andere als leichte, vergnügliche Lektüre für zwischendurch. Doch zwischen den Zeilen dieses Romans verbirgt sich ein starkes, lyrisches Herz. Dem zum Nachdenken angeregten Leser bleiben am Ende viele wichtige Fragen, allen voran: ist Alfa Ndiaye wahnsinnig, oder ist es der Krieg? Die Antwort liegt auf der Hand.
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